7 Schlussbetrachtungen

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10.34663/9783945561379-08

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Biank, Johanna (2019). Schlussbetrachtungen. In: Pseudo-Proklos’ Sphaera: Die Sphaera-Gattung im 16. Jahrhundert. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

Zusammenfassend dient Pseudo-Proklos’ Sphaera im 16. Jahrhundert nicht nur als Astronomie-, sondern auch als Griechischlehrbuch, bei Thomas Lupset an der Universität Oxford, bei Jacques Toussain in Paris, bei Schreckenfuchs in Basel und bei Camerarius in Nürnberg, was einen Vorteil gegenüber der lateinischen Sphaera des Sacrobosco bietet. Die Sphaera hat vorwiegend einen bildungsorientierten Zweck. Als Vorteil erwähnen die Übersetzer ihre Kürze und ihren elementaren Charakter als Lehrbuch. Die Übersetzer sind Gelehrte der antiken Literatur, zur Hälfte auch des Griechischen mächtig, und unterrichten Mathematik bzw. Astronomie oder griechische Sprache, was für einen humanistischen Kontext spricht. Dabei dient Pseudo-Proklos’ Sphaera als Ergänzung zu größeren Werken wie Psellos’ Quadrivium und Ptolemaios’ Geographie. In Sammlungen wird Pseudo-Proklos’ Sphaera mit anderen astronomischen Texten kombiniert. Vallas Übersetzung von Pseudo-Proklos’ Sphaera erscheint in einem wissenschaftlichen Lexikon, Egnazio Dantis und Linacres Übersetzungen sind in Sammlungen von Instrumentenbeschreibungen erhalten; Vinets Übersetzung wird mit Psellos’ Quadrivium gedruckt, wobei Pseudo-Proklos den Teil über Astronomie ersetzt. Bainbridges Übersetzung erscheint mit Ptolemaios’ Hypotyposis. Henischs Übersetzung wird mit seinen Lerntabellen über Astronomie gedruckt, Salisburys Übersetzung mit Abschnitten über Landwirtschaft und Aderlass; Catenas Übersetzung ist an Architekturstudenten gerichtet.

Die Entstehung von Pseudo-Proklos’ Sphaera

Schon 1534 wird die Autorschaft von Pseudo-Proklos’ Sphaera bei Stöffler angezweifelt. Vinet (1573) thematisiert die Existenz mehrerer Procli, und 1585 wird die Sphaera von Barozzi als pseudepigraphisch bewiesen. Bereits im späten 15. Jh. (André), im späten 16. und im frühen 17. Jahrhundert überwiegt die Ansicht, dass Proklos Diadochos selbst ein Plagiat begangen habe, indem er Geminos’ Kapitel unter dem Titel Sphaera als sein eigenes Werk ausgab. Da jedoch in der Überlieferung antiker Schriften vor dem Ende des 15. Jahrhunderts niemals ein Werk namens Sphaera Procli erwähnt wird, ist es wahrscheinlicher, dass ein Humanist den Text abgeschrieben und aus Unkenntnis dem Proklos zugeordnet hat. Zwei in Paris liegende Handschriften, die mit Linacres verlorener Handschriftenvorlage verwandt sind, tragen bereits den Titel Πρόκλου Σφαῖρα, weshalb anzunehmen ist, dass Linacre nicht der Urheber der Fehlzuschreibung ist.

Die Zuschreibung muss auf einer Vorstufe zu Linacres und Vallas Handschrift basieren,1 die als Zusammenfassung mehrerer Geminos-Handschriften dient und auch Geminos’ Kapitel 18, das später weggelassen wird, sowie Proklos’ Hypotyposis enthält. Die Sphaera hat meiner Meinung nach die Funktion, die Hypotyposis zu erklären, da beide Schriften sich inhaltlich ergänzen. Auch später wird die Sphaera wiederholt mit langen Texten wie jenen des Arat oder Hygin gedruckt. Das Standardlehrbuch dieses Themas, Sacroboscos Sphaera, mag ihn zum Titel Procli Sphaera beeinflusst haben.

Die Beschäftigung mit Pseudo-Proklos’ Sphaera reicht bis ins 19. Jahrhundert wegen der inhaltlichen und formalen Vorzüge – Kürze und klare Struktur des Textes. Dadurch eignet sie sich zusätzlich auch zum Spracherwerb, und die gut verständlichen Informationen über die Klimazonen und die Sternbilder lassen über den pseudepigraphischen Charakter des Werks hinwegsehen. Noch 1620 gibt John Bainbridge eine neue lateinische Übersetzung der Sphaera heraus, obwohl er den pseudepigraphischen Charakter des Textes kennt. Schon früher (1490er) übersetzt Giorgio Valla Teile der Sphaera, ohne sie dem Proklos zuzuschreiben, als Zusammenstellung für seine Studenten.

Die Inhalte und Quellen von Pseudo-Proklos’ Sphaera im Vergleich zu Sacrobosco

Inhaltlich passt die Sphaera zu Proklos’ mathematisch-astronomischen Werken, weniger zu seinen philosophischen (z. B. der Timaeus-Kommentar) Werken. So wird Pseudo-Proklos auch von Petrus Ramus (Basel, 1569) als Mathematiker und von Linacre und Manutius (Astronomici veteres, Venedig, 1499) als Astronom angesehen. Allgemein wird im 16. Jahrhundert Proklos’ Einteilung der mathematischen Disziplinen aus seinem Euklid-Kommentar bekannt (Catena, Padua, 1563).

Pseudo-Proklos’ Sphaera bietet gegenüber Sacrobosco (und dem kompletten Geminos) ein elementares, weitgehend unphysikalisches und kurzes Lehrbuch ohne Bewegungs- und Planetentheorie sowie ohne philosophischen Schwerpunkt. Die These, dass Pseudo-Proklos’ Sphaera ein neoplatonisches Gegenbild zu Sacroboscos Sphaera darstellt, kann also nicht bestätigt werden. Sacrobosco dagegen steht in klar aristotelischer Tradition durch die Argumentation der Erdsphärizität und die Verwendung der Begriffe sphaera recta et obliqua. Vielmehr ist Pseudo-Proklos’ Sphaera ein humanistisch-reformatorisches Komplement zu Sacroboscos Sphaera, weil die erste mit Gedichten verbreitet wird und in reformatorischen Kreisen zirkuliert, wohingegen die zweite im katholischen Kontext mit Traktaten gedruckt wird. Beide Texte werden auch zusammen unterrichtet, z. B. in Wittenberg oder alternativ in Paris, weshalb Pseudo-Proklos kein Gegenbild darstellt, sondern eine Ergänzung oder ein Komplement.

Im Allgemeinen ähneln sich die Inhalte von Sacroboscos und Pseudo-Proklos’ Sphaera. Während Sacrobosco ein scholastisches Traktat verfasst, das in Fragen untergliedert ist und das ptolemäisch-christliche Weltbild beschreibt, wirkt Pseudo-Proklos’ Text wie eine Auflistung der Bestandteile von Himmel und Erde bzw. des Himmels oder der Armillarsphäre ohne die spezielleren Themen des Geminos. Da Geminos kein Christ ist, fehlt bei ihm natürlicherweise die christliche Lehre. Auch zitiert er keine arabischen oder lateinischen Autoren, sondern nur die Griechen Kallimachos, Arat und Hipparchos. Sacrobosco verwendet astronomische Termini wie longitudo und zenith. Dagegen wirkt die pseudo-proklische Sphaera ohne Begrifflichkeiten wie „Dioptra“ oder „Canopus“ und den übrigen Geminos-Text aus dem Kontext gerissen und ungeklärt. Insgesamt ist Pseudo-Proklos’ Sphaera eine kürzere, griechische und thematisch reduziertere Variante zu Sacroboscos lateinischer Zusammenfassung mathematischer Astronomie.

Das Verhältnis von Pseudo-Proklos’ Sphaera im Vergleich zu Sacrobosco in den Kommentaren und in den Drucken

Proklos ist durch seine metaphysischen Werke in der Renaissance als Vertreter des Platon gegen Aristoteles bekannt, wird aber nicht aus diesem Grunde gegen den Scholastiker Sacrobosco instrumentalisiert, wie die Ausgangsthese dieser Arbeit formuliert; vielmehr kann er als griechisches Pendant gelten.

Pseudo-Proklos ist Teil des in der frühen Neuzeit aufkommenden Interesses an den naturwissenschaftlichen Werken des Proklos neben der Institutio physica (Basel, 1531), der Hypotyposis (Basel, 1551) und der Paraphrasis in quattuor Ptolemaei libros de siderum effectionibus (Basel, 1554). Bekannte Gelehrte wie Kepler, Mästlin und Vespucci kennen den Text. Dabei ist Basel ein Zentrum des Drucks (original-)proklischer Werke. Stöffler hält Pseudo-Proklos’ Sphaera für zu allgemein und zieht Messanleitungen vor (Tübingen, 1534). Der authentische Proklos ist in der Renaissance als Autor von Kommentaren und Zusammenfassungen anderer Texte bekannt; daher würde die Sphaera, wenn sie echt proklisch wäre, als „Zusammenfassung“ keine Ausnahme in seinem Werk bilden. Allerdings ist sie viel kürzer als Proklos’ authentische Werke.

Pseudo-Proklos’ Sphaera ist ein beliebtes Lehrbuch für den Astronomie- und Griechischunterricht und fordert ständig neue Kommentare heraus. Von diesem Text gibt es ca. 92 Drucke und 23 Handschriften vom späten 15. Jahrhundert bis zum Jahre 1861 (vgl. die Tabelle im Appendix), von dem Standardlehrbuch Sacroboscos Sphaera vergleichsweise um 1472–1697 ca. 376 Ausgaben (mit Kommentaren), also fast das Fünffache.2 Jedoch wird Pseudo-Proklos in kürzerer Zeit verbreitet als Sacrobosco, allein bis 1600 gibt es bis zu 75 Drucke und 18 Handschriften. Schließlich muss Pseudo-Proklos immer erst aus dem Griechischen übersetzt werden, der lateinische Sacrobosco nicht; was seine Rezeption einfacher macht.

Pseudo-Proklos’ Sphaera ist in Venedig im späten 15. Jahrhundert „entstanden“, einer Republik, die dem Papst stets reserviert gegenüber stand. Sacroboscos Sphaera wird dagegen schon im 13. Jahrhundert in Paris verfasst. Die Hauptzentren des Drucks sind für die Traditionen des Pseudo-Proklos und des Sacrobosco Paris und Wittenberg, für Pseudo-Proklos auch Leipzig, London, Wien und Basel, für Sacrobosco Venedig, Lyons, Antwerpen und Bordeaux.3 Pseudo-Proklos’ Sphaera ist also eher ein zentraleuropäisches Phänomen, Sacroboscos Sphaera ein südeuropäisches. Die wenigsten Drucke werden in Italien, den Niederlanden und Polen herausgegeben. Ein starkes Lehrzentrum ist für Pseudo-Proklos’ Sphaera auch Oxford (1507–1619). Weiterhin wird Pseudo-Proklos’ Sphaera in Oxford, Paris, Bordeaux, Wittenberg, Leipzig, Tübingen und Nürnberg gelehrt. Sacrobosco wird nicht in Holland herausgegeben, sondern an Navigationsschulen in Spanien und Portugal gedruckt und gelehrt, wo Pseudo-Proklos nicht erscheint. Eine Erklärung ist, dass die katholische Habsburger Tradition in Spanien mit gegenreformatorischer Gesinnung eher das scholastische Lehrbuch des Sacrobosco befürwortet als die griechische Sphaera des Neoplatonikers Proklos, der offenbar v. a. in reformierten oder erasmianischen Kreisen zirkuliert. Auch ist in Spanien der Besuch nicht-spanischer Universitäten verboten.4

Doch Pseudo-Proklos’ Sphaera wird nicht nur erstens als Einführung astronomischer Traktate verwendet, sondern auch zweitens als Einstieg in Gedichte und mythologische Erzählungen wie Arats Phaenomena, Manilius’ Astronomica (am Hofe Arthurs von Wales, 1499), Hygins Fabulae (Basel, 1535) und Nemesians Lehrgedicht La Caccia (Florenz, 1573). Denn Dichtung eignet sich im Falle von Linacres Übersetzung, die v. a. mit literarischen Autoren gedruckt wird (Arat, Hygin, Dionysios’ De mundo), für das Memorieren und angenehmere Verstehen der Lerninhalte. Die anderen Übersetzungen und Kommentare erscheinen eher als Einzeldruck oder auch mit Traktaten. Allgemein nimmt die Zahl der Einzeldrucke von Pseudo-Proklos’ Sphaera zu, v. a. in griechisch-lateinischen und einsprachig lateinischen Ausgaben, da dieser Text als Lehrbuch mehr Eigenbedeutung gewinnt. Die Appendices in den Drucken von Pseudo-Proklos’ Sphaera sind meist messender Natur (Bestimmung von Zeit und Ort, Beobachtung der Sterne, Errechnung des Kalenders aus den Himmelserscheinungen für den liturgischen Gebrauch). Sacroboscos Text erscheint dagegen nicht mit Gedichten, sondern z. B. mit den astronomischen Traktaten des Peuerbach und des Regiomontanus im Druck.

Drittens eignet sich im Gegensatz zu Sacroboscos scholastischem Latein das antike Griechisch und die eleganten lateinischen Übersetzungen auch zum Sprachunterricht. In Wittenberg wird Pseudo-Proklos’ Sphaera als Lateinlehrbuch in den Statuten der Wittenberger Artistenfakultät von 1526 festgelegt, zusammen mit Terenz, Ciceros Briefen, Vergil und Erasmus’ rhetorischen Kommentaren De duplici copia verborum ac rerum commentarii duo.5 Ringelbergius (Lyon, 1531) schreibt, dass mathematisches Wissen dem Stil im Lateinischen nütze, wie antike Dichter gezeigt hätten. Deshalb empfiehlt er Pseudo-Proklos’ Sphaera zusammen mit Arats Phaenomena als Vorbereitung auf Ptolemaios und Firmicus Maternus zu lehren. Als Griechischlehrbuch dient Pseudo-Proklos’ Sphaera um 1529 in Paris mit anderen griechischen literarischen Texten (Toussain). Eigens für den Griechischunterricht werden griechische Ausgaben von Pseudo-Proklos’ Sphaera gedruckt (Paris: Christian Wechel, 1534, 1536, 1642 und Leuven: Petrus Colonaeus, Schaffenszeit: 1547–1571; hier 1554). Scandianese (Venedig, 1556) geht es sowohl um die Vermittlung der Astronomie als auch des Griechischen, was die Sphaera beides leisten kann im Vergleich zu Sacrobosco.

Neben Universitäten wird die Sphaera auch in Kollegien, Gymnasien und im Privatunterricht als Lehrbuch verwendet, Sacrobosco dagegen an Universitäten und Navigationsschulen. Dem innovativen Astronomen John Bainbridge (London, 1620) dient Pseudo-Proklos’ Sphaera als Hilfsmittel für seine Entdeckungen (heliozentrische Tendenzen und Diskussion des Längengrades). In einigen Curricula wird Pseudo-Proklos gleichwertig oder als Vorbereitung zu Sacrobosco unterrichtet (Bordeaux, 1583). Vinets Lehre über Sacrobosco für ein breites Publikum in Bordeaux und Clavius’ Lehre für Spezialisten in Rom stehen einander gegenüber. Eine Andeutung zum Austausch des Sacrobosco durch Pseudo-Proklos enthält Vinets Ausgabe mit Pseudo-Proklos’ Sphaera und Psellos’ Quadrivium (Bordeaux, 1553 und Tournon, 1592).

In Paris und Padua wird Pseudo-Proklos’ Sphaera alternativ zu Sacroboscos Sphaera gelehrt. Rheticus (Wittenberg, 1536), Vinet (Paris, 1543 und 1551), Catena (Padua, 1561 und 1565), Schreckenfuchs (Basel, 1561 und 1569) und Danti (Florenz, 1571 und 1573) haben sowohl Pseudo-Proklos als auch Sacrobosco kommentiert, und zwar im Abstand weniger Jahre. Von diesen ist Vinet der Einzige, der zuerst über Pseudo-Proklos und danach über Sacrobosco geschrieben hat. Also wird Pseudo-Proklos v. a. in Venedig und Padua (Italien), Paris (Frankreich) und Antwerpen (Belgien) als bessere (da kürzere und elegantere) Variante zu Sacrobosco in der kosmologischen Lehre angesehen.

Sacrobosco wird wiederholt zitiert, um Pseudo-Proklos zu erklären. Einige Gelehrte charakterisieren in Briefen die Sphaera des Pseudo-Proklos als Gegenbild zu den Sacrobosco-Traktaten: Grocyn bezeichnet Pseudo-Proklos’ Sphaera als bessere Variante in eleganterem Latein (Venedig, 1499) und Vinet hebt die Kürze dieses Lehrbuches hervor (1583, Paris). Barozzi möchte Sacrobosco mit seiner eigenen Sphaera übertreffen (Venedig, 1585) und Vives strebt an, Sacrobosco in der Lehre durch Pseudo-Proklos zu ersetzen (Antwerpen, 1531).

Die Sphaera vermittelt Grundlagen (fundamenta) der Astronomie, wie Stöffler, Ziegler und Vinet schreiben. Dabei wird der Sphaera-Text als Standardwissen angesehen (principia, bei Anonymus Hauniensis), dessen Präsentation sich durch seine Kürze und klare Struktur für Anfänger eignet (vgl. die Kapitel zu den Widmungen und Kommentaren).6 Gleichzeitig weisen die Kommentatoren aber auch auf Fehler in den Messdaten bei Pseudo-Proklos hin. Die kurzen Definitionen aus Pseudo-Proklos’ Sphaera sind auch als Zitat in anderen Werken beliebt, z. B. bei Toussain (Paris, 1552), Mästlin (Tübingen, 1597) und Clavius (Rom, 1606) u. a.

Als Vorlesungsgrundlage der Professoren müssen Kommentare nicht als Druck vorliegen, sondern genügen auch als handschriftliche Arbeitsvorlage wie die Kommentare des Rheticus, des Anonymus Hauniensis, des Hagius und des Cod. Guelf. 265 (Wolfenbüttel). Handschriften und Drucke werden im 16. Jahrhundert parallel verwendet. Sie werden aber auch nicht weiter abgeschrieben und vielleicht haben sie auch nicht denselben Einfluss beim gelehrten Publikum wie etwa Stöfflers und Linacres Bearbeitungen.

Am häufigsten zitiert und verarbeitet werden Linacres elegante Übersetzung (Venedig, 1499) und Stöfflers umfangreicher Kommentar (Tübingen, 1534). Als Einführung in die Astronomie dient die Sphaera in Wittenberg um 1536 zusammen mit den Werken des Sacrobosco und des Al-Farghani als Vorbereitung auf Euklid und Peuerbach (Rheticus). Im Tübingen der 1570er Jahre wird die Sphaera ebenfalls als Einführung zu Peuerbachs Theoricae Planetarum und zu Peter Apians Cosmographia verwendet. In Florenz herrscht stärkere Praxisorientierung, denn Danti lehrt in Florenz um 1562 und in Bologna um 1575 über Pseudo-Proklos’ Sphaera als Vorbereitung auf die „Anwendungen der Mathematik“ bzw. militärisches Ingenieurwesen, Architektur und Optik u. a. Außerdem dient Pseudo-Proklos’ Sphaera bei Danti (Florenz, 1573) als Anleitung für Messungen mit der Armillarsphäre. Auch wird Pseudo-Proklos’ Sphaera als Vorbereitung auf die Traktate verschiedener Disziplinen unterrichtet wie Ptolemaios’ Geographie (Tübingen, 1534), Plinius’ enzyklopädisches Werk Naturalis historia (Basel, 1531 und 1536), Vitruvs De architectura (Padua, 1565) und Ptolemaios’ Hypotyposis (London, 1620). Zum Teil verwenden Schüler und Kommilitonen die Übersetzungen und Kommentare ihrer Lehrer für ihren eigenen Unterricht (Ramus, Vinet, Lupset). Recorde schreibt (London, 1556), dass Pseudo-Proklos’ Sphaera durch Kommentare über den Gebrauch und die Konstruktion der Armillarsphäre ergänzt werden müsse. Er ziehe es vor, Stöfflers Kommentar zusammen mit Euklid und Kleomedes statt mit Plinius, Hygin und Arat zu lehren. In The Castle erwähnt Recorde wiederholt, dass der Schüler die früheren Lehrbücher lesen müsse, bevor er schwierigere Themen meistern könne. Jeder Kommentar mit seinen Definitionen, Versen und Anekdoten könne zum besseren Lernen der Studenten beitragen. Auch Kepler schreibt, dass immer wieder Einführungen in die sphärische Astronomie verfasst wurden, weil nicht jeder Stil oder jede Methode für jeden Studenten geeignet sei.

Dem Sphaera-Text des Sacrobosco werden über die Jahrhunderte in den Kommentaren und Bearbeitungen mehr und mehr Themen hinzugefügt wie Navigationswissen und die Verwendung astronomischer Instrumente zur Zeitmessung und Messgeographie, Astrologie bzw. die Einflüsse der Planeten auf das menschliche Leben, Kalenderrechnung, Optik bzw. Messung durch Sicht,7 während Navigationstechniken und optische Themen bei Pseudo-Proklos weniger vorkommen. Beiden Texten gemeinsam ist, dass sie die Konstruktion astronomischer Instrumente und die geometrische Beschreibung der Sphäre zum Verstehen von Geographie und Kartographie enthalten. In den Kommentaren zu Pseudo-Proklos werden astronomische Daten und Begriffe auf den Stand der frühen Neuzeit gebracht, aber Innovationen wie das heliozentrische Weltbild nur angedeutet. Stattdessen wird aus den Begriffen der Übersetzer und Kommentatoren von Pseudo-Proklos’ Sphaera deutlich, dass sie dem traditionellen, aristotelischen Weltbild des Mittelalters verhaftet sind.

Linacre ist die Referenzübersetzung für die Mehrheit der Übersetzer und Kommentatoren zu Pseudo-Proklos’ Sphaera, aber die anderen Übersetzungen zeigen mehr Nähe zum Ausgangstext. So betonen Danti und Scandianese die Exaktheit ihrer Übersetzungen als Überbringer der griechischen Weisheit. Die Überarbeiter des Linacre bemühen sich um stärkere Genauigkeit und einen weniger literarischen Stil zugunsten einer besseren Verständlichkeit. Dabei steht Nähe am Griechischen vor Eleganz. Die volkssprachlichen Übersetzungen neigen zu Umschreibungen und Vereinfachungen, v. a. gegenüber Linacre. Jedoch bleiben volkssprachliche Übersetzungen von Pseudo-Proklos’ Sphaera ein südwesteuropäisches Phänomen. Die Kapitelnamen werden aber umschrieben, um stärkere Verständlichkeit zu erzielen. Die Ausgaben ab der Mitte des 16. Jahrhunderts werden durch Abbildungen veranschaulicht. Die Übersetzer von Pseudo-Proklos’ Sphaera übersetzen auch im Übrigen v. a. griechische Autoren, um die traditionellen Universitätscurricula zu ergänzen. Scandianese wählt elegante griechische Texte zum Übersetzen ins Italienische (Philostratos und Kallistratos). Einige Übersetzer und Kommentatoren von Pseudo-Proklos’ Sphaera zeigen medizinisches und astrologisches Interesse.

Die Gelehrtenkreise um Erasmus und Melanchthon bilden wichtige Netzwerke für die humanistische Rezeption der Sphaera. So steht die Erstausgabe von Pseudo-Proklos’ Sphaera in einem griechisch-humanistischen Kontext durch Linacre als Übersetzer griechischer Texte (Galen) und Manutius als Herausgeber klassischer griechischer Autoren wie Aristoteles. Linacre ist der Griechischlehrer und Arzt des Erasmus, und Manutius gibt Erasmus’ Werke heraus. Manutius wünscht sich in seiner Widmung zur Erstausgabe der Sphaera eine Versöhnung zwischen Italien und dem „barbarischen“ England, das für die scholastische Tradition steht.8 Die Erstausgabe führt zur Verbreitung der Sphaera von Venedig ins Reformationszentrum Wittenberg, die Schweiz, nach Britannien und Frankreich. Die Sphaera ist Linacres Karrierestart und thematische Ausnahme in seinem Werk, denn Linacre ist kein Astronom, sondern ein Griechisch- und Medizingelehrter. Er orientiert sich wohl bei der Textauswahl an dem Bedarf der Curricula nach elementarer Kosmologie. Der Nachdruck der Widmung an Prinz Arthur in mehreren Ländern (auch als Einzeldruck ohne Sphaera-Text) zeigt, dass diese Widmung für die Legitimation der Übersetzung Linacres in Europa eingesetzt wird. Ebenso bilden Ärzte wie Linacre und Henisch und medizinisch Interessierte wie Salisbury eine Rezeptionsgruppe.

Pseudo-Proklos’ Sphaera ist insgesamt ein humanistisches Ergänzungswerk zu Sacroboscos Sphaera durch seine Verwendung als Griechischlehrbuch und durch die Kombination mit Gedichten und Dichterzitaten sowie durch seine Entstehung und Rezeption in einem vornehmlich erasmisch-melanchthonischen Umfeld. Die Sphaera ist beliebt, weil sie mit Gedichten und Bildern kombiniert wird, während Sacrobosco nicht zusammen mit Gedichten erscheint. Auch ist der Stil in Linacres und Thuroczis Übersetzungen von Pseudo-Proklos’ Sphaera poetischer als das Latein von Sacroboscos Sphaera, wobei Linacres Übersetzung den Schwerpunkt der Pseudo-Proklos-Rezeption darstellt. Nicht der Autor Proklos ist entscheidend für die Verbreitung von Pseudo-Proklos’ Sphaera, sondern der vielseitig verwendbare Inhalt.

Die Bedeutung von Pseudo-Proklos’ Sphaera in der Renaissanceastronomie besteht in ihrer Kürze gegenüber scholastischen Texten wie Sacroboscos Sphaera und in ihrer griechischen Sprache, die einerseits den antiken Geist spiegelt und andererseits astronomisches Allgemeinwissen vermittelt. Die Zusammenstellung mit Lehrgedichten und wissenschaftlichen Traktaten in den Kommentaren, dazu die Angabe von Parallelstellen bei antiken Autoren, gepaart mit neuzeitlichem Wissen über Beobachten, Messen und Darstellen in geometrischer Form kann als Innovation im 16. Jahrhundert in Mitteleuropa angesehen werden.

Fußnoten

Vgl. Todd 1993, 60, 69.

Vgl. Valleriani 2017b, 441.

Vgl. Valleriani 2017b, 443.

Vgl. Hammerstein 1996, 119.

Vgl. Kathe 2002, 79.

Est enim opusculum iis, qui in Astronomiam induci atque imbui cupiunt, utilissimum, vgl. Pseudo-Proklos 1499 (Manutius an Alberto Pio); Sane parvulus est, sed nobilis et pretiosus admodum, vgl. Pseudo-Proklos 1534, 1v, 25v; purità della dottrina, et eccellenza dell’ordine, vgl. Pseudo-Proklos 1573.

Vgl. Valleriani 2017a, 14–15.

Vgl. Heyden-Rynsch 2014, 117f..