3 Alvarus Thomas und das inhaltliche und methodische Umfeld der Pariser Artistenfakultät

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10.34663/9783945561096-04

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Trzeciok, Stefan Paul (2016). Alvarus Thomas und das inhaltliche und methodische Umfeld der Pariser Artistenfakultät. In: Alvarus Thomas und sein Liber de triplici motu: Band I: Naturphilosophie an der Pariser Artistenfakultät. Berlin: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

3.1 Einleitung

Eine Bildungsinstitution wie die Pariser Universität sicherte nicht nur den Unterrichtsraum, den legalen Stand und eine gewisse Absicherung der Lebensumstände, sondern gewährleistete durch eine Art Rahmenlehrplan auch ein mehr oder weniger kanonisiertes und verfügbares Wissen, das an die Studenten weiter gegeben werden sollte. Die Artistenfakultät hebt sich von den anderen Fakultäten dabei in der Hinsicht ab, dass sie alle Studenten in ihrem universitären curriculum absolvierten. Daher vermittelt sie das eigentlichene unversitäre shared knowledge der damaligen Zeit, bevor sich die Studienfächer spezialisieren. Auch die Naturphilosophie stand auf dem Lehrplan der Artistenfakultät. Es lohnt sich daher, einen Blick darauf zu werfen, was, wo und wie an der Artistenfakultät unterrichtet wurde, immer in Hinsicht darauf, dass Alvarus Thomas an dieser Universität (studierte) und lehrte und auch für Menschen in diesem Umfeld schrieb.

Alvarus Thomas traf in Paris auf eine universitäre Umgebung, die im Vergleich zu den vielen Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts auf eine lange Tradition zurückblicken konnte. Einen Ruf hatte sich die Pariser Universität vor allen Dingen in der Medizin und der Theologie erworben. In der Rechtslehre war die Pariser Universität allerdings für die italienischen Universitäten, besonders Bologna, keine Konkurrenz, zumal die Lehre des römischen Rechts von der Kurie verboten wurde. In Paris wurde daher nur kanonisches Recht gelehrt.1 Mit Blick auf die Biographie von Alvarus Thomas könnte man vermuten, dass der Autor des Liber de triplici motu wegen der medizinischen Studien in die französische Hauptstadt gekommen war.2 Ob sich Alvarus Thomas aber schon zu Anfang des Studiums auf die Medizin festgelegt hatte, in der er später den Doktorgrad erwarb, mag angezweifelt werden. Zumindest in der Zeit, als der Liber de tripici motu entstand, galt sein Interesse der Naturphilosophie, im Speziellen der Kalkulatorentradition.

Die Philosophie war in der Artistenfakultät angesiedelt, wobei sich in der Forschungsliteratur die These hält, dass man sich in Paris vor allem auf die Metaphysik und die Ethik konzentrierte und weniger auf die Naturphilosophie.3 Die Naturphilosophie galt, wie auch John D. North schreibt, besonders im ersten Jahrhundert des Bestehens der Pariser Universität als vernachlässigt.4 Kennzeichnend für die Gründungsphase der Pariser universitas waren heftige Auseinandersetzungen mit den kirchlichen Autoritäten, bei denen es aus universitärer Sicht im 13. Jahrhundert vor allen Dingen um die Integration der aristotelischen Schriften in den Lektürekanon der Universität ging.5 Man arbeitete sich aber weniger an den päpstlichen Eingriffen, sondern vor allen Dingen inhaltlich an Aristoteles ab wie beispielsweise Fidanza Bonaventura an der Stellung der Philosophie.6 Problematisch empfanden die Theologen einige aristotelische Thesen und die Tradition ihrer Lesarten, die mit den christlichen Dogmen unvereinbar waren. Dies betraf zum Beispiel die Verneinung der Schöpfung und die Verneinung der Unsterblichkeit der Seele – Gedanken aus den aristotelischen Werken Physica und Metaphysica – aber auch der Determinismus beziehungsweise seine Lesart wurde abgelehnt. Dies ist historisch aber nicht als fundamentale Ablehnung der Philosophie an sich zu werten, sondern als ein Widerstand gegen einen Philosophen, nämlich Aristoteles.7 Ein wichtiger Ansatz zur Lösung dieses Problems lag darin, solche Ansichten als logische Fehler anzusehen.8 Die Gegnerschaft zu Aristoteles war im Mittelalter auch mit dem Lesen der Werke von Averroës verbunden, dem umfassendsten Kommentator aristotelischer Werke dieser Zeit, und sie wurden kontrovers diskutiert.9 Aristoteles zu kritisieren war in diesem Umfeld sehr wohl möglich, in den oben genannten Fällen musste man es sogar. Trotzdem gab es von Seiten der Scholastiker Druck auf die kirchlichen Institutionen, die Werke von Aristoteles öffentlich lesen und interpretieren zu können, was letztendlich auch zugestanden wurde. Unter diesen Vorraussetzungen umfasste der Lektürekanon der Artistenfakultät dann seit Ende des 13. Jahrhunderts alle aristotelischen Schriften, also auch die naturphilosophischen Werke.10 Schnell griffen auch Pariser Gelehrte wie Nikolaus Oresme die Schriften der Oxforder Kalkulatoren auf. Von einer langfristigen, institutionell bedingten Vernachlässigung der Naturphilosophie in Paris ist ab dem 14. Jahrhundert eher abzusehen.

Das Studium der antiken Philosophie wurde im Laufe der Zeit auch notwendig, um die seit dem Hochmittelalter entstandenen Schriften zu verstehen, die ebenfalls immer wieder auf antike Werke verwiesen. Im Liber de triplici motu werden beispielsweise die spätmittelalterlich Oxforder Kalkulatoren wie Thomas Swineshead oder William Heytesbury als rezent bezeichnet, auch wenn die entsprechenden Werke aus heutiger Sicht über einhundert Jahre vor dem Liber de triplici motu entstanden sind. Alt dagegen sind für Alvarus Thomas die Schriften aus der Antike. Wann genau die Rezeption der Oxforder Kalkulatoren an der Artistenfakultät begonnen hat, ist schwer nachzuweisen. In der französischen Hauptstadt unterrichteten im 14. Jahrhundert Theologen wie Johannes Buridan oder Nikolaus Oresme, deren Schriften in der späteren spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Rezeptionsgeschichte der Naturphilosophie einen bedeutenden Platz einnahmen. Sie griffen ebenfalls auf antike Werke und Konzepte zurück und rezipierten ebenso die Veröffentlichungen der Oxforder Kalkulatoren. Wenn man annimmt, dass spätestens die Schüler von Oresme als regentes an der Artistenfakultät die Quellen ihrer Lehrer zu Fragen der Naturphilosophie aufarbeiteten, begann die Rezeption der Oxforder Kalkulatoren an der Pariser Artistenfakultät ab der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Rezeption der Oxforder Kalkulatoren und ihrer Nachfolger blieb wahrscheinlich bis in die Zeit von Alvarus Thomas an der Artistenfakultät üblich.11 Ab etwa 1500 könnte die Rezeption der Oxforder Kalkulatoren noch einmal intensiviert worden sein, nachdem die Werke der Oxforder Kalkulatoren ab circa 1490 erstmals gedruckt erschienen.12 Die eindrucksvolle Liste der im Druck vorhandenen Werke, die im Liber de triplici motu angeführt werden, unterstreicht dies.13

Für die Entwicklung der artes liberales und der Philosophie im Lehrplan der Artistenfakultäten, der sich ab dem Ende des 13. Jahrhunderts wenig veränderte, kann die Bedeutung der ab dem 10. Jahrhundert entstehenden Übersetzungen von im lateinischen Westen verloren gegangenen oder wenig verbreiteten aristotelischen Schriften nicht hoch genug eingeschätzt werden. Meist stammten die griechischen Vorlagen aus Byzanz und Süditalien, besonders Salerno und dem Kloster Montecassino, während die arabischen Handschriften häufig aus Spanien kamen.14 Die Übersetzung griechischer Texte und arabischer Übersetzungen griechischer Texte ins Lateinische setzte in etwa zeitgleich ein.15 Herausragender Übersetzer aristotelischer Texte war in Spanien Gerhard von Cremona, der Mitte des 12. Jahrhunderts aus dem Arabischen die Analytica posteriora, die Physica, die Schrift De generatione et corruptione, die Meteorologica und die heute als pseudoaristotelisch angesehene Schrift De mundo ins Lateinische übertrug.16 Letztere Übersetzung war allerdings die einzige aristotelische Übersetzung, die weit verbreitet war.17 Für Aristotelisübersetzungen aus dem Griechischen sind vor allem Jakob von Venedig und Wilhelm von Moerbeke zu nennen. Jakob von Venedig übertrug die zur Logica nova gehörigen Schriften, die Physica, De anima, die ersten vier Bücher der Metaphysica und einige der Parva naturalia ins Lateinische.18 Wilhelm von Moerbeke überarbeitete vorhandene Übersetzungen von Aristoteles und übersetzte die fehlende Werke des aristotelischen Textkorpus komplett.19 Er übersetzte ebenso ein Buch von Proklos, das als Liber de causis bekannt war und das zuerst als aristotelischer Text rezipiert wurde. Es stand daher auch auf der Liste der zu lesenden Bücher der Pariser Artistenfakultät.20 Wichtig waren auch die Übersetzungen der Aristoteliskommentare von Averroës aus dem Arabischen ins Lateinische, die vielleicht alle von Michael Scotus vorgenommen wurden.21

Ab etwa 1400 galt die Pariser Universität geradezu als konservativ wegen ihrer umfangreichen Aristotelesrezeption, die sich anscheinend bis in die Zeit von Alvarus Thomas fortsetzte.22 Die Kenntnis dieses Kanons konnte Alvarus Thomas also bei einem fortgeschrittenen Studierenden voraussetzen. Das Lesen des Liber de triplici motu erforderte nämlich Wissen aus der aristotelischen Physica, besonders des Konzepts der Bewegung. Der aristotelische Bewegungsbegriff wird im Ganzen im Liber de triplici motu nie näher erklärt. Das Buch befindet sich vielmehr in einem Diskurs über die Untergliederung des Bewegungsbegriffs, der wiederum von den Oxforder Kalkulatoren angeregt wurde. Thomas Bradwardine zählt in seinem Traktatus proportionum sechs unterschiedliche species der Bewegung auf: augmentatio, diminutio, loci mutatio, generatio et corruptio et alteratio.23 Alvarus Thomas dagegen sieht die augmentatio und die diminutio als Sonderform der motus localis, die generatio und corruptio fasst er als eine Form der Bewegung auf. So erklärt sich der Titel seines Buchs – Liber de triplici motu, Buch über die dreifache Bewegung.

3.2 Die artes liberales in Paris und ihre Reflexionen im Liber de triplici motu

Das Studium an einem der Collèges der Artistenfakultät unterlag – wie schon erwähnt – einem bestimmten curriculum, der von der Universität vorgegeben war.24 Da gegenwärtig angenommen wird, dass Alvarus Thomas auch in Paris studierte und nicht erst als magister in die französische Hauptstadt gekommen war, unterrichtete er die Studieninhalte der Artistenfakultät nicht nur, sondern wurde darin als Student von seinem regens selbst unterrichtet.25 Diese Studieninhalte waren einerseits die artes liberales, andererseits die so genannten drei Philosophien, die Naturphilosophie, die Ethik und die Metaphysik, die zusammen als propädeutische Studien vor dem Studium der Theologie, des Rechts und der Medizin galten.

Der Kanon der artes liberales hatte sich bereits in der Antike ausgebildet und wurde unter Einfluss von den Werken des Augustinus von Hippo, den Alvarus Thomas ebenfalls in seinem Vorwort erwähnt, an die Bedürfnisse der christlichen Bildung angepasst.26 Die artes wurden sprichwörtlich zur Magd der Philosophie. Auch Alvarus Thomas benutzte eine solche Phrase.27 Seit dem 5. Jahrhundert stand dabei das grundlegende Modell der freien Künste so fest, wie es Martianus Capella in der so genannten De nuptiis Philologiae et Mercurii beschrieben hat. Die mittelalterlichen artes liberales waren unterteilt in ein trivium, das die Grammatik, die Rhetorik und die Logik umfasste, und ein quadrivium, bestehend aus Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie. Bereits bei Platon werden ähnliche Fächer als eine Art Elementarstudium vor der höheren Mathematik wie der Proportionslehre und der Philosophie erwähnt.28 Die freien Künste machten seit Anfang des 13. Jahrhunderts allerdings nicht mehr allein den Studieninhalt an einer Artistenfakultät aus, sondern flossen in die drei Philosophien und in gesonderte Fächer ein.

In der mittelalterlichen Praxis formte sich auch eine unterschiedliche Wertigkeit der einzelnen artes zueinander heraus. Innerhalb des triviums stieg die Bedeutung der Logik gegenüber der Rhetorik an der Pariser Unversität und den englischen Universitäten im Laufe des Spätmittelalters an und wertete im Folgenden in Verbindung mit den drei Philosophien damit die Artistenfakultät als Ganze auf. Begründet wurde dies mit der Bedeutung der Logik und der Philosophie insbesondere für die Theologie.29 In Paris wurde das trivium dem quadrivium vorgezogen, was aber nicht allgemeingültig für die mittelalterlichen Universitäten ist.30 Mathematik, also Arithmetik und Geometrie – wie man in diesem Zusammenhang in der Forschungsliteratur liest – wurde in Paris erstaunlicherweise nur an den Festtagen gelehrt.31 Dies erklärt möglicherweise, warum Alvarus Thomas den eigentlichen Studien der Bewegungslehre eine Einführung in die Proportionslehre voranstellte. Besonders die ersten Kapitel der mathematischen Teile des Liber de triplici motu haben einen Lehrbuchcharakter.32 Er reagierte so auf eine spezifische Situation in Paris, in der die Kenntnis der Proportionslehre bei den Studierenden anscheinend nicht vorausgesetzt werden konnte. Das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass sich der Liber de triplici motu an diese Personengruppe oder deren Tutoren richtete. Eine derartige Einführung fehlt in den Büchern der anderen, vor allem in England entstandenen Schriften der Kalkulatoren.

Das trivium

Als Lehrbücher der Grammatik galten seit der Spätantike im lateinischen Westen des ehemaligen Römischen Reichs die ars minor und die ars maior von Donatus, die institutiones grammaticae von Priscianus sowie die Grammatiken in Versform von Alexander von Villa Dei und die von Eberhard von Béthune.33 Sie orientierten sich an der lateinischen Literatur. Das dritte Buch der donatischen ars maior, das die Bestandteile einer Rede und rhetorische Figuren behandelte und den gesonderten Namen „Barbarismus“ erhielt, wurde in Paris als Vorlesungstext studiert. Dasselbe galt für die zwei Bücher von Priscanus´ Satzlehre, die unter dem Namen Priscanus minor beziehungsweise De constructionibus gelehrt wurden. Durch die Zitate und der Namensnennung antiker Autoren darin wurden auch deren Werke während dieser Lektüre den Studierenden präsent – wie etwa Vergils Georgica oder die Institutio oratoria von Quintilian, auf die auch Alvarus Thomas verweist.34 Diese Studien spielen allerdings für das Lesen des Liber de triplici motu nur insofern eine Bedeutung, als ein Magisteraspirant auch in der Lage gewesen sein sollte, Latein angemessen zu lesen und zu schreiben und aus den Informationen eine eigenständige Argumentation für seine These aufzubauen.

Wichtiger in Bezug auf den Liber de triplici motu war, dass Mitte des 12. Jahrhunderts sich die Grammatik unter dem Einfluss der Logik zu einem eigenständigen Forschungsthema zu entwickeln begann. Untersucht wurde vor allem die Bedeutung prädikativer und unbestimmter Wörter.35 Dies gipfelte in der Entstehung der spekulativen Grammatik, die auf semiotischen Annahmen beruht. Es kam zur Unterscheidung des Wortlauts von der menschlichen Bezeichnung und zur Ausarbeitung parallelisierter Verhältnisses zwischen Dingen, Denken und der Sprache, nämlich zwischen dem modus essendi, dem modus intellegendi und dem modus significandi.36 Bedeutung besitzt dies vor allem für die Ausbildung des Nominalismus, einer der wichtigsten Schulen des Spätmittelalters, die auch für Alvarus Thomas wichtig war. Zwar wird im Liber de triplici motu nur viermal auf die nominales Bezug genommen – meist in Opposition zu der Meinung der reales, der Realisten – ihr Einfluss ist aber in der Sprache des Werks präsent.37

Die vielleicht wichtigste ars des trivium, deren Kenntnis Alvarus Thomas beim Leser des Liber de triplici motu voraussetze, war die Logik. In der Logiklehre las man die entsprechenden aristotelische Werke, das so genannte Organon, und deren Einführungen und Kommentare. Man unterschied die logica vetus von der logica nova, deren Bezeichnung dadurch zustande kam, dass die zur logica nova gehörigen Schriften durch die arabische und byzantinische Überlieferung erst wieder im 12. Jahrhundert im lateinischen Westen weitgehend bekannt wurden.38 Beide Terme, logica vetus und logica nova, werden auch von Alvarus Thomas verwendet. Zur logica vetus zählten die Kategorien und die Schrift Peri hermeneias, beide in der Übersetzung von Anicius Manlius Severinus Boëthius, sowie die ebenfalls von Boëthius übersetzte Einführung in die Aristotelischen Kategorien von Porphyrios.39 Dazu kamen je zwei boëthische Kommentare zu den Kategorien und dem Text von Porphyrios, einen Kommentar zu Ciceros Topica und zu Peri hermeneias, sowie die eigenen Schriften des Boëthius zur Logik, De divisione, Introductio ad syllogismos categoricos, De syllogismo categorico, De syllogismo hypothetica und De differentiis topicis. Als logica nova bezeichnete man die Analytica priora et posteriora, die Topica und die Refutationes Sophisticarum, die wegen ihrer Überlieferungsgeschichte erst ab dem 13. Jahrhundert systematisch an der Universität gelehrt wurden. Auf beide Analytiken wird im Liber de triplici motu verwiesen. Die Schriften der logica nova wurden im 12. Jahrhundert trotz dem Vorhandensein einer Übersetzung des Boëthius neu ins Lateinische übersetzt, nur die Analytica posteriora wurde von Jakob von Venedig erstmals aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt.40 Im 14. Jahrhundert tauchten an der Artistenfakultät auch Lehrbücher zur Logik auf, die den mittelalterlichen Entwicklungen dieser Disziplin Rechnung trugen.41 Zu nennen sind dabei die Bücher Summulae sive introductiones in logicam von Wilhelm von Sherwood und Summulae logicales von Petrus Hispanus, der als Papst später Johannes XXI. hieß und dessen Werk auch Ausführungen zur Mnemotechnik enthielt.42 In Verbindung mit der Grammatik stieg die Bedeutung der Syllogismen in Verbindung mit konditionalen und modalen Satzstrukturen an. Im 14. und 15. Jahrhundert war besonders das Aufzeigen von Fehlschlüssen beliebt, eine Entwicklung, die auch noch bei Alvarus Thomas nachzuweisen ist.43

Die Rhetorik im universitären Umfeld betraf nicht nur die eigentliche Redekunst, sondern auch die ars praedicandi, die Predigt, und die ars dictaminis, also die Kunst der schriftlichen Korrespondenz, die von der Rhetorik unterschieden wurde. Im 16. Jahrhundert kam ausgehend von England noch die wiedererfundene ars notaria dazu, die Kunst schnell zu schreiben.44 Die Grundlage für die ars praedicandi sah man inhaltlich vor allem in der Schrift De doctrina christiana von Augustinus, auf die Alvarus Thomas – wie schon erwähnt – ebenfalls einmal verweist. Von den Künsten des trivium gilt die Rhetorik die Kunst, die sich im Mittelalter theoretisch am wenigsten weiterentwickelt hatte, obwohl sie seit Gründung der Universitäten, besonders bei den an der Rechtsprechung orientierten italienischen Universitäten, einen enormen Bedeutungsaufschwung bekam.45 Daran änderte auch das Vorhandensein und das Lesen der aristotelischen Rhetorik wenig, die Mitte des 13. Jahrhunderts auch in lateinischer Übersetzung vorlag. Sie blieb eine ars, die mehr der Grammatik und der Logik statt als Forschungsgegenstand diente. Die Redekunst war zudem eng mit der Rezeption der Werke von M. Tullius Cicero verbunden, insbesondere der Schrift De inventione. Dazu gehörte in dieser Zeit das heute als pseudociceronisch eingeordnete Werk Ad herennium, das im Gegensatz zu Cicero vor allem ornamentale Stilmittel nahelegte, aber wie dieser großen Wert auf die Themenfindung und -anordnung einer Rede legte. Im Unterricht nördlich der Alpen wurde trotzdem meist De topicis differentiis von Boëthius verwendet, was die Unterordnung der Rhetorik unter die Dialektik unterstreicht, wie es bei Boëthius geschah. In Paris rezipierte man wiederum nur das vierte Buch dieser Topik. In wie weit Alvarus Thomas diese Werke kannte, bleibt zu mutmaßen, zumindest werden sie im Liber de triplici motu nicht erwähnt. Festzuhalten bleibt, dass Alvarus Thomas selbst eine sehr differenzierte Ausdrucksweise im Liber de triplici motu pflegte. Bis auf wenige Ausnahmen verwendete er in den Kapiteln zu Proportions- und Bewegungslehre ein schlichtes Vokabular, während der Dedikationsbrief an Petro de Meneses am Anfang des Liber de triplici motu sehr überschwänglich klingt.46 Dies erklärt sich dadurch, dass in jener Zeit die Anwendung rhetorischer Mittel in gewissen Maße vom gesellschaftlichen Stand des Adressaten beeinflusst wurde. War der Adressat eine höher gestellte, adlige Person wie Pedro de Meneses, von der man zudem eine finanzielle Unterstützung erwartete oder sich für eine solche bedankt, galt eine ornamentale Sprache voller extravaganter Wörter in variationsreichen Huldigungen und Anspielungen als angebracht.

Beim eigentlichen Text des Liber de triplici motu handelt es sich dagegen um eine Wissenschaftssprache mit fest definierten Begriffen.47 Variatio non delectat. Diese Wissenschaftssprache hat ihren theoretischen Grundlagen in der Logik und der Grammtik.48 Alvarus Thomas benutzt eine Wissenschaftssprache mit drei unterschiedliche Fachvokabularen und zwar aus dem naturphilosophischen Bereich, dem mathematischen Bereich und aus dem methodisch-logischen Bereich, wie im Glossar zu sehen ist.49 An dieser Stelle sei noch eine weitere Bemerkung zum Latein von Alvarus Thomas hinzugefügt, weil immer wieder die Frage nach der Korrektheit seines Lateins gestellt wird, gefolgt von der Vermutung, dass das Latein im Liber de triplici motu wahrscheinlich sehr schlecht sei. Das ist es nicht. Zwar fallen häufig genutzte, unklassische Konstruktionen wie ein partizipiales Gerundium auf, aber Alvarus Thomas hat im Allgemeinen keinerlei Probleme mit der Grammatik. Die meisten Konjekturen im lateinischen Text lassen sich durch Fehler beim Setzen des Textes besser erklären als unter der Annahme, dass Alvarus Thomas den Unterschied zwischen grammatikalisch falscher und korrekter Form nicht erkennen konnte. Er verwendete beispielsweise den Konjunktiv gemäß der Zeitenfolge korrekt und im Übrigen sehr differenziert. Beispielsweise wird durch den Gebrauch eines Irrealis bei der Formulierung eines Arguments schon am Anfang klar gestellt, dass dieses Argument in der folgenden Diskussion nicht zu halten sei.50

Das quadrivium

Das quadrivium unterteilte sich in Musik, Arithmetik, Geometrie und Astronomie.51 Überraschenderweise stand im universitären Betrieb an oberster Stelle unter den vier Disziplinen die Musik, weil sie für den christlichen Gottesdienst unentbehrlich war. Grundlage der Ausbildung war die Rezeption des Werks De institutione musica von Boëthius, das in der Tradition des Pythagoras auch verschiedene Zahlenverhältnisse respektive Intervalle beschrieb. Interpretiert wurden diese Verhältnisse nicht nur im Sinne einer musica humana, sondern auch als musica mundana. Das hieß, dass in der damaligen kosmologischen Vorstellung jeder Himmelssphäre ein bestimmter Akkord zugeordnet wurde. Bei Alvarus Thomas werden die Proportionen der Phytagoräer in der Proportionslehre erwähnt.52 Wahrscheinlich sollte an dieser Stelle die Praktikabilität der Arithmetik betont werden. Möglicherweise wurden diese so genannten alten Proportionalitäten nur deswegen erwähnt, weil Studierende mit diesen Bezeichnungen bereits umgehen konnten und bereits erlerntes Wissen neu kontextualisiert und repetiert werden sollte. Diese speziellen Proportionen werden im Weiteren nicht mehr von Alvarus Thomas im Liber de triplici motu erwähnt und sie spielen in der Diskussion um die aristotelische Bewegungslehre keine Rolle.

Auch in der Arithmetik war das maßgebliche Lehrbuch von Boëthius verfasst worden, nämlich die De institutione arithmetica. Dazu nutzte man die Elemente von Euklid und die massa compoti von Alexander von Villa Deis, das auch die Grundzüge der Kalenderberechnung darlegte. Verwendet wurden aber auch Kurzfassungen des boëthischen Buchs wie zum Beispiel diejenige von Thomas Bradwardine und die dazugehörigen Kommentare. Interessanterweise gab es in Paris keine Vorschriften zur Pflichtlektüre in der Mathematik. Man konnte sogar die Lektüre der für die Astronomie wichtigen Schrift Sphaera von Sacrabosco auslassen, wenn man einhundert Vorlesungsstunden in Mathematik vorweisen konnte.53 Die Arithmetik involvierte aber nicht nur Bücher, vermittelt wurde auch viel durch Spiele. Unterrichtet wurde zum Beispiel mit Hilfe eines komplizierten Zahlenspiels, der rithmomachia, in dem man mit Spielmarken gerader und ungerader Zahlen hantierte und deren Kombinationen quadrierte.54 Die arithmetischen Kenntnisse der vier Grundrechenarten, das Potenzieren und Wurzelziehen sowohl mit Zahlen als auch algebraischen Ausdrücken werden im Liber de triplici motu vorausgesetzt. Die De institutione arithmetica wurde im Liber de triplici motu bei der Proportionslehre extensiv genutzt. Alvarus Thomas verwendet aber in der Einführung in die Proportionslehre auch mathematische Werke, die an der Pariser Artistenfakultät wohl weniger oder gar nicht studiert wurden, nämlich von die De elementis arithmetice artis von Jordanus de Nemore und die wenig bekannte Schrift De proportionibus proportionum von Nicole Oresme. Mehrmals verweist Alvarus Thomas auch direkt auf Nikomachos von Gerasa, das die Grundlage für die De institutione arithmetica von Boëthius war.55 Allerdings liegt zur Zeit von Alvarus Thomas noch keine lateinische Übersetzung und auch kein Druck dieses Werks vor. Möglicherweise musste Alvarus Thomas hier also auf eine altgriechische Handschrift und vielleicht auf einen Übersetzer zurückgreifen.56 Dies wäre sonst der einzige Nachweis, dass Alvarus Thomas auch die altgriechische Sprache beherrschte.

In der Geometrie waren die Elemente von Euklid das zentrale Werk, das an allen europäischen Universitäten gelehrt wurde. Allerdings wurden nicht notwendigerweise alle darin enthaltene Bücher gelesen.57 Das Werk ist neben der aristotelischen Physik und der Schrift von Swineshead das Werk, auf das am meisten im Liber de triplici motu Bezug genommen wird. Adelard von Bath, Hermann von Kärnten und Gerhard von Cremona hatten Übersetzungen angefertigt. Lange Zeit dominierte deren Überarbeitung von Campanus von Novara, mit der wahrscheinlich auch Alvarus Thomas unterrichtet wurde.58 Erst 1505 erschien eine vollständige Übersetzung aus dem Griechischen durch Bartolomeo Zamberti, von der Alvarus Thomas angibt, sie in der Entstehungsphase des Liber de triplici motu benutzt zu haben.59 Das ist im Übrigen die einzige Angabe eines Übersetzers bei Alvarus Thomas. Welche Aristotelesübersetzungen er nutzte, bleibt im Unklaren. Weiterhin wurden ein Boëthius zugeschriebener Kommentar der Elemente, Euklids De quantitatibus datis und De triangulis von Jordanus de Nemore zur Lehre in der Geometrie verwendet. Unterschieden wurde zwischen einer spekulativen und einer praktischen Geometrie, wie es bereits Platon und Aristoteles taten. Zur spekulativen oder theoretischen Geometrie gehörte neben den Elementen von Euklid beispielsweise die Geometria speculativa von Thomas Bradwardine.60 Zur praktischen Geometrie zählten Schriften zur Statik wie De ponderibus von Jordanus de Nemore und zur Optik. Auch in dieser Teildisziplin setzte ab dem 13. Jahrhundert durch die Übertragung von Eukilds Optica und Catoptica, der Meteorica von Aristoteles und von Alkindis De aspectibus in den lateinischen Kulturkreis eine weitreichende und bedeutende Entwicklung ein. Robert Grosseteste entwickelte die Optik zu einer eigenständigen Disziplin. Bekannt wurde er vor allem durch seine Schrift De luce seu de inchoatione formarum, in dem er die Entstehung des Universums auf das Licht zurückführte. Die in seiner Nachfolge entstandenen Lehrbücher von Roger Bacon, Johann Peckham und Witelo wurden bis ins 17. Jahrhundert benutzt. Dazu verwendete man auch die Optiken von Ptolemäos, Avicenna und Alhazen. Alvarus Thomas nahm keinen direkten Bezug auf die Werke zur Optik, verwendet aber in den quaestiones zum Bewegungsbegriff Beispiele, die die Kenntnis der Unterschiede zwischen den Begriffen lux und lumen voraussetzt, wie sie bei Avicenna definiert sind, der wiederum Grosseteste beeinflusste.61

Die Astronomie beruhte auf der Vorstellung konzentrischer Planetensphären und sublunarer Sphären. Der bedeutendste Text war der Ptolemäische Almagest, der aber wenig gelesen wurde. Weitaus eher griff man auf eine der verschiedenen Kurzfassungen des Almagestes zurück, von denen die Schrift Tractatus de sphaera von Johannes von Sacrobosco die bekannteste war. Sie sollte bis ins 17. Jahrhundert gelehrt werden. Dazu entstanden auch Kommentare, wie der von Robertus Anglicus. Weit verbreitet war aber auch Sacroboscos Text Computus, der die Grundrechenarten bis zum Wurzelziehen vermittelte und der oftmals erstaunlicherweise zur Astronomie und nicht zur Arithmetik zugerechnet wurde. Wahrscheinlich benutzte man den Computus in Zusammenhang mit den Toledanischen und später Alfonsinischen Tafeln, die in der Seefahrt zur Positionsbestimmung verwendet wurden.62 Die Planetenbewegung lehrte man mit dem Text Theorica planetarum eines unbekannten Autors.63 Sie blieb selbst dann in Verwendung, als das kopernikanische und das ptolemäische Modell im 17. Jahrhundert konkurrierten. Es wurde aber nicht nur das Wissen aus Texten, sondern auch der Umgang mit Instrumenten wie dem Quadranten, der Armillarsphäre und dem Astrolab vermittelt. Man sollte aber nicht annehmen, dass in diesem Zusammenhang empirische Kenntnisse gesammelt wurden.64 Behindert wurde eine weiterführende Ausbildung an diesen Geräten wahrscheinlich dadurch, dass man als Student sich eigene Geräte kaum leisten konnte und auch als vorlesender Magister sich die Instrumente ausleihen musste. Komplizierte Instrumente standen dagegen nicht auf dem allgemeinen Lehrplan. John D. North urteilt sogar, dass beispielsweise das angeblich weit verbreitete Albion von Richard von Wallingford „das Fassungsvermögen der Durchschnittsstudenten“ überstieg.65 Aus diesen Unterrichtsinhalten der Astronomie ist für den Liber de triplici motu nur Sacroboscos Computus interessant, auf das von Alvarus Thomas aber nicht verwiesen wird. Zumindest setzte der damalige regens des Collegè de Coqueret setzte das Verständnis der Grundrechenarten und des Wurzelziehen zum Lesen und Verstehen des Liber de triplici motu voraus. Planetenbewegungen spielen bei Alvarus Thomas eine untergeordnete Rolle. Das Bewegungskonzept von Aristoteles wird bei Alvarus Thomas in der Regel nur für den sublunaren Bereich angewendet.66

Deutlich wird also beim Verhältnis zwischen dem Liber de triplici motu und den Werken zu den artes liberales, die an der Artistenfakultät gelesen wurden, dass die dort vermittelten Konzepte, Fertigkeiten und Schriften für die Rezeption des Liber de triplici motu vorausgesetzt werden müssen. Für Studienanfänger war der Liber de triplici motu nicht geeignet. Die Rezeption des Werkes muss daher eingeschränkt werden auf Studierende, die sehr weit fortgeschritten sind, beziehungsweise auf deren regentes, die sie dabei unterstützten. Oder man müsste argumentieren, dass der Liber de triplici motu sich ganz und gar an magistri und regentes der Artistenfakultät richtete. Dem scheint allerdings das Hinzufügen der zwei Lehrtraktate zur Proportionslehre zum Liber de triplici motu oder auch die recht pädagogisch wirkenden Einleitungen in Fragestellungen oder Antworten in den naturphilosophischen quaestiones zu widersprechen. Besonders der erste Traktat ist nämlich so grundlegend, dass eine mögliche Verwendung im Unterricht der regentes oder zum Selbststudium der Studierenden impliziert ist.

3.3 Die mittelalterliche Naturphilosophie in Paris

Die so genannten drei Philosophien, Ethik, die Metaphysik und die Naturphilosophie, etablierten sich an der Artistenfakultät, als – wie oben beschrieben – die jeweilig dazugehörigen aristotelischen Werke ins Lateinische übertragen wurden und das Lehrverbot für diese Schriften wegfiel. In Paris geschah dies im Jahr 1255, auch wenn es noch später zu offiziellen Verurteilungen einiger aristotelischer Gedanken wie der Unendlichkeit der Welt kam.67 Neben den aristotelischen Werken nutzte man für die Vorlesungen und Disputationen eine Vielzahl an Kommentaren, veröffentlichten Disputen, den quaestiones editae, und Lehrbüchern, die im Einzelnen nicht vorgeschrieben waren. Erwähnenswert bleibt aber die Rezeption von Platons Timaeus und der Consolatio philosophiae von Boëthius, die auch schon vor der Etablierung des aristotelischen Corpus an der Pariser Artistenfakultät gelehrt wurden und danach zumindest in fakultativen Veranstaltungen im Universitätsalltag präsent waren.68

Ab dem 14. Jahrhundert wuchs die Bedeutung der Naturphilosophie an den Artistenfakultäten nördlich, später auch südlich der Alpen. Diese Entwicklung begann in Oxford und ist eng verbunden mit dem Namen der Oxforder Kalkulatoren, die größtenteils dort am Merton College unterrichteten. Dazu gehören Thomas Bradwardine, Richard Swineshead und William Heytesbury. Sie standen der mathematisch orientierten Schule von Robert Grosseteste nahe und zu ihren herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zählte vor allem die Quantifizierung von Qualitäten.69 Bekannt geworden ist vor allem die frühe Formulierung der Durchschnittsgeschwindigkeit durch Heytesbury in seinem Werk Regulae solvendi sophismata aus dem Jahr 1335.70 Weitere wichtige Werke der Oxforder Kalkulatoren waren der Liber calculationum von Swineshead, der in der Rezeption oftmals nur calculator genannt wurde, De proportionibus velocitatum in motibus und De geometria speculativa von Bradwardine, dem doctor profundus, und der Tractatus de intensione et remissione von Walter Burley, der zwar eher zu den Wegbereitern der Kalkulatoren als zu den Kalkulatoren selbst zu rechnen ist, aber ebenfalls am Merton College wirkte.71 Er wurde doctor planus et perspicuus oder doctor bonus genannt.72 All diese Autoren werden im Liber de triplici motu namentlich genannt, und auf ihre Schriften wird darin verwiesen.73 Besonders Thomas Bradwardine ist in Zusammenhang mit der Geschichte des Bewegungsbegriffes zu erwähnen, denn er war es, bei dem der erste Beleg eines rein mathematischen Zugangs zu den Fragen der Bewegung zu finden ist.74 Die Werke der Oxforder Kalkulatoren wurden frühzeitig in Italien intensiv rezipiert, zumal Walter Burley um 1341 in Bologna unterrichtete. Dort sind in der Folgezeit vor allem Paul von Venedig, der eine Logica parva verfasste, Peter von Mantua und dessen Tractatus de instanti sowie die Schriften von Jakob aus Forli zu nennen, die alle drei ebenfalls namentlich bei Alvarus Thomas auftauchen.75 Es ist im Übrigen wahrscheinlich, dass Alvarus Thomas für die Verweise auf die Schrift De intensione et remissione von Walter Burley, De intensione et remissione formarum von Jakob aus Forli und den Tractatus proportionum von Albert von Sachsen einen venezianischen Gesamtdruck aller drei Schriften aus dem Jahr 1496 benutzte.76

Um 1350 entwickelte sich in Paris eine Schule der Naturphilosophie, die auf die Oxforder Kalkulatoren reagierte.77 Sie lässt sich wie auch die Oxforder Schule durch Lehrer-Schüler-Verhältnisse charakterisieren. Namentlich werden im Liber de triplici motu folgende erwähnt: Marsilius von Inghen, der zur aristotelischen Physik quaestiones veröffentlichte;78 Nikolaus Oresme, der eine Methode der graphischen Darstellung mertonischer Quantifizierungen im Tratatus de configurationibus qualitatum et motuum entwickelte;79 und Albert von Sachsen mit seinem Werk zur Proportionslehre.80 Schon deren Lehrer Johann Buridan hatte ein weit beachtetes, neues Konzept der Bewegung aufgestellt, die sogenannte impetus-Theorie, die als impetus die bewegungsverursachende Qualität eines sich bewegenden Körpers definierte. Dieser impetus nahm bei höherer Geschwindigkeit zu und senkte sich beispielsweise durch Luftwiderstand und das Gewicht eines Körpers. Oresme setzte die Bearbeitung dieser Theorie fort. Oft wird der impetus als „Schwungkraft“ verstanden. Das wichtigste Anwendungsbeispiel des impetus wurde die Wurfbewegung.81 Schemata einer solchen Bewegung sind auch im Liber de triplici motu zu finden, zum Beispiel dass ein Körper am Anfang einer Bewegung keine Geschwindigkeit hat und dass diese im Verlauf der Bewegung zunimmt.82 Alvarus Thomas bleibt dabei aber auf einer abstrakten, theoretischen Ebene. Beispiele von Pfeilen oder anderen militärischen Geschossen fehlen im Liber de triplici motu. Auch ein direkter Verweis auf Buridans Werk oder überhaupt der Begriff impetus fehlen bei Alvarus Thomas. Trotzdem werden in der Wissenschaftsgeschichte alle Behandlungen des Konzepts Bewegung nach Philoponos bis in die Zeit von Gallileo Galileo unter dem Oberbegriff der impetus-Theorie verstanden, denn mit Philoponos setzte eine grundlegende Transformation des aristotelischen Bewegungsbegriffes ein.83 Als Sekundärbegriffe für impetus findet man bei Alvarus Thomas beispielsweise res activa oder potentia motiva.84

Für Alvarus Thomas war das wichtigste Buch der Liber calculationum von Richard Swineshead. Kein anderer Kalkulator wird im Liber de triplici motu häufiger erwähnt, auch auf Aristoteles oder Euklid wird weniger verwiesen. Nicht zuletzt behauptet Alvarus Thomas auch im Titel seines Buchs, dass er dieses Werk von Swineshead teilweise erkläre. Oftmals übernimmt nämlich Alvarus Thomas ganze conclusiones des Kalkulators, wie er Swineshead meist bezeichnet. Gute Beispiele dafür finden sich im Kapitel 3.1.10 bei der Darstellung einer quaestio zur Geschwindigkeit einer Bewegung in einem gleichförmig ungleichförmigen Medium. Alvarus Thomas gibt mehrfach genau das Kapitel im Liber calculationum an, aus dem er die conclusio zur Frage übernommen hat, gefolgt von Einschränkungen, die Alvarus Thomas der conclusio von Swineshead hinzufügt.85 Wallace behauptete, der Liber de triplici motu ähnele im Aufbau aber nicht dem Liber calculationum, sondern Alvarus Thomas übernehme die Struktur vielmehr aus Bradwardines Tractatus de proportionibus oder von Heytesbury aus dem Tractatus de tribus praedicamentis.86 Genau genommen ähnele der Aufbau der mathematischen Teile 1 und 2 des Liber de triplici motu dem Anfang der Arithmetica Geometriaque von Bradwardine.87

Diese Naturphilosophen wurden in der Tradition von Pierre Duhem als mittelalterliche Vorläufer der klassischen Mechanik angesehen.88 Inwieweit oder besser unter welchen Einschränkungen ist immer noch Bestandteil der Diskussion. Auch der Status als Vorläufer wird problematisiert.89 Schwierig zu beurteilen – wie oben beschrieben – ist einerseits das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Naturphilosophie und andererseits das Verhältnis der Naturphilosophie zur Theologie. Andrew Cunningham betonte die Situierung der Naturphilosophie in einem theologischen Rahmen und versuchte, ihr den Wissenschaftsanspruch abzusprechen.90 Andererseits stellt sich jedem Gegner der Position von Cunnigham die Frage, ob die spätmittelalterliche Naturphilosophie bereits als eine selbstständige Wissenschaft ähnlich der heutigen Physik ist oder ob sie als ein abhängiges Teilgebiet der Theologie betrachtet wurde beziehungsweise zu betrachten ist. Pointiert in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen der Theologie und der Naturphilosophie schreibt Edward Grant in seiner Auseinandersetzung mit Cunnigham für die Verfechter der Eigenständigkeit der Naturphilosophie: „... theology needed natural philosophy, natural philosophy did not need theology.“91 Grant hob in diesem Zusammenhang hervor, dass die spätmittelalterlichen Naturphilosophie bereits einen Anspruch an Wissenschaftlichkeit hat.

Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Naturphilosophie ist auch für die Interpretation des Liber de triplici motu von Alvarus Thomas relevant. Die Wissenschaftlichkeit des Liber de triplici motu lässt sich aber nicht einfach mit ja oder nein beantworten, sondern muss auf verschiedenen Ebenen ausdiskutiert werden sollte. Bestimmte heutige Ansprüche an Wissenschaftlichkeit wie genaues Zitieren mit Seitenangabe, Empirik oder Ähnliches sind nicht eins zu eins auf die Wissenschaftlichkeit der Frühen Neuzeit übertragbar. Große Teile des Buchs sind auf einer textlichen Ebene ohne weitere Kenntnisse der Theologie im Sinne einer eigenständigen Disziplin lesbar: Die Einführung in die Proportionslehre legte eine mathematische Grundlage. Die quaestiones zur lokalen Bewegung und zur augmentatio kommen in ihrer Abstraktheit ohne metaphysische Annahmen aus. Die Relevanz der Fragen wird durch die unterschiedlichen Meinungen von Autoritäten unterstrichen, auf deren Werke verwiesen wird. Wissenschaftlichkeit wird durch den dargestellten Diskurs, der einer festgelegten, logische Argumentationsweise folgt, nämlich der quaestio, dem Aufstellen und Durchexerzieren der Argumente und Gegenargumente sowie durch die logisch-mathematischen Beweise der Gültigkeit eines Arguments erzeugt. Wissenschaftlich heißt hier vor allem ein Arbeiten mit Definitionen, logischer Systematik und relativ vielen Verweisen auf Bücher, aus denen Alvarus Thomas sein Wissen bezieht.

Nur im letzten Traktat, der die alteratio, die intensio formarum und die generatio behandelt, ändert Alvarus Thomas seine bis dahin „gottlose“ Argumentation. Die Allmacht Gottes wird als ultima ratio eingesetzt, um unbeantwortbare quaestiones zu lösen, und eher der Theologie zugeordnete quaestiones, wie zum Beispiel, ob Gott drei Engel gleichzeitig erschaffen kann, werden hier im Kontext der Naturphilosophie diskutiert.92 Das spricht auf dem ersten Blick für eine Interpretation, dass die Naturphilosophie im Rahmen der Theologie betrachtet werden muss, so wie Andrew Cunningham argumentiert. Auch im Liber de triplici motu werden der Quantifizierung von Qualitäten theologische Grenzen auferlegt.93 Muss man nun aufgrund der Behandlung der Eigenschaften von Engeln innerhalb der scientiae naturales Alvarus Thomas aus historischer Sicht die Wissenschaftlichkeit absprechen? Handelt es sich nicht um eine Qualität, die theoretisch quantifizierbar war? Deutlich wurde bisher, dass im Mittelalter und der Frühen Neuzeit eine institutionelle Abhängigkeit der Naturphilosophie von der Theologie in Paris argumentiert werden könnte.

Wenn man aber annimmt, dass Alvarus Thomas die Praktikabilität der Proportionslehre seinen Schülern nahe legen wollte, kann man die Diskussion um die drei Engel dadurch erklären, dass den Studenten bewusst werden sollte, in welchen Bereichen naturphilosophische Fragen und Methoden an den anderen Fakultäten als bei den Artisten eingesetzt werden können. Für eine solche Interpretation sprechen auch Beispiele, die Alvarus Thomas aus dem medizinischen Bereich entnimmt. So wird in den quaestiones um die alteratio ein Beispiel mit einem – aus heutiger Sicht rassistischen – Vergleich zwischen der Gesundheit eines Deutschen, eines Slawen und eines Inders illustriert und mehrere Seiten lang diskutiert.94 Die Nähe der Naturphilosophie zur Theologie bei Alvarus Thomas hat also einen praktischen Zweck, nämlich eine Verständlichkeit für Studenten zu gewährleisten, die Naturphilosophie nicht unbedingt zum Selbstzweck studierten, sondern in der Tat einen Bezug zur Theologie oder zur Medizin suchten. Dem „Lehrbuch“ von Alvarus Thomas kann man somit eine Art „Praxischarakter“ unterstellen, der uns heute beim Lesen dieses Werks thematisch fremdartig vorkommt. Es entzieht sich aber der metaphysischen Frage, ob die Naturphilosophie der Theologie im Allgemeinen untergeordnet oder abhängig war. Interessanterweise lässt sich in den beiden Traktaten zur lokalen Bewegung im Liber de triplici motu – also der species des aristotelischen Bewegungsbegriff, der am wichtigsten für die spätere Ausbildung der klassischen Mechanik wurde – keine Argumentation finden, in der Gott eine Rolle spielt. Dagegen steht der letzte Traktat des Liber de triplici motu, in dem die alteratio sowie die generatio und corruptio behandelt wird.95

Der Bedeutungsanstieg der Naturphilosophie ist das Produkt einer längerfristigen Entwicklung seit ihrer Institutionalisierung an den Universitäten. Die Naturphilosophen begannen sich im Mittelalter unter dem Einfluss der Begriffslogik auch den solchen philosophischen Fragen zuzuwenden, die vorher die Theologie dogmatisch zu beantworten suchte: Wie sind die Natur des Seins, die Ewigkeit der Welt, und die Erkenntis durch Abstraktion zu verstehen? Man tendierte im 14. Jahrhundert dazu, heute so wichtige Wissenschaftsbegriffe wie Evidenz, Demonstration und Kontingenz in Fragen über das Wesen an sich und die Auswirkungen von Gnade und Heil zu verwenden. Bei der Beantwortung solcher Fragen war aber keine allgemeine Übereinstimmung mehr zu erzielen und die Lehrmeinungen vervielfältigten sich. Bekannte Vertreter, die dazu Antworten niederschrieben, waren Duns Scotus und Wilhelm von Ockham, deren Lehren im 15. Jahrhundert kontrovers diskutiert wurden. Das führte zu einer Unterscheidung zwischen der via antiqua und der via moderna, heute meist als Schule der Realisten und die der Okhamisten bezeichnet werden. Unter die Realisten wurden auch die Thomisten, die Scotisten und die Albertisten subsummiert. Allerdings wurden unter via moderna nicht allein die Vertreter der okhamschen Positionen verstanden. Oftmals meinte man die Nominalisten oder Terministen im Allgemeinen.96 Und man war wiederum nicht zwingend Nominalist, wenn man der Kalkulatorentradition folgte.97 Vielmehr vervielfachten sich die Vorstellungen in den Gedankenexperimenten, so dass auch die Meinung der Realisten in die Diskussionen um die Oxforder Kalkulatoren integriert wurde. Auch bei Alvarus Thomas findet sich ein ganzes Kapitel, in dem er die unterschiedlichen Meinungen dieser verschiedenen Denkrichtungen zur Veränderung der Form gegenüberstellt.98 An dieser Stelle wird der pädagogische „Impetus“ des Liber de triplici motu erneut deutlich.

3.4 Lehrformen einer Universität um 1500: Die lectio und die disputatio

Der Liber de triplici motu ist nicht nur eng verbunden mit den Lehrinhalten der Pariser Artistenfakultät, sondern auch mit den damaligen Lehrformen. Die beiden grundsätzlichen universitären Formen von Lehrveranstaltungen waren seit der Etablierung der Universitäten die lectio und die disputatio. In einer lectio, einer Art kommentierter Vorlesung der wichtigsten Schriften, trug der lector die oftmals schon tradierten Thesen der Standardwerke vor und kommentierte sie. Diese Kommentierung konnte Kritik, neue Denkansätze oder Argumente gegen neue Denkansätze ebenso wie reine Verweise auf weiterführende Literatur beinhalten. Die lectiones wurden in lectiones ordinariae und lectiones extraordinariae unterschieden. Dies hing jeweils davon abhing, ob der zu lesende Text zu den von der Universität vorgeschrieben Texten (lectiones ordinariae) gehörte oder nicht (lectiones extraordinariae). Lectiones ordinariae fanden jeweils am Vormittag statt, während die fakultativen Texte am Nachmittag unterrichtet wurden. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass die Oxforder Kalkulatoren während der lectiones extraordnariae vorgestellt wurden. Am Anfang eines Studienjahres wurden die verschiedenen Lehrschriften auf die magister durch Los, Wahl oder nach Zugehörigkeitsdauer zum Lehrkörper verteilt. Ob die Studierenden bei den lectiones jeweils immer ein eigenes Exemplar des zu lesenden Textes zur Hand hatten, mag wegen der auch nach der Erfindung des Buchdrucks vergleichsweise hohen Buchpreise bezweifelt werden. Jedenfalls wurde in den lectiones nicht nur vorgelesen und kommentiert, sondern auch diktiert.99

Die andere Grundform der Lehrveranstaltung war die disputatio, bei der man aus den Schriften und Kommentaren abgeleitete Fragen diskutierte und nach den Regeln der aristotelischen Logik zu beantworten suchte. Hier stand die Anwendung von erworbenem Wissen im Vordergrund, indem man quaestiones, also Fragestellungen, disputativ zu beantworten suchte. Die Methode, die man in dieser disputatio anwendete, nannte man ebenfalls quaestio.100 Auch bei den disputationes prägten sich verschiedene Sonderformen aus. Man unterschied die disputatio ordinaria in der Öffentlichkeit, bei der in Paris Anwesenheitspflicht von Lehrern und Studenten herrschte, aber nur die Lehrer sprechen durften. Sie fanden in Paris mehrmals in der Woche statt. Öffentlich waren auch die disputationes de quolibet, die nur ein-, zweimal im Jahr abgehalten wurden und bei der die Fragen frei wählbar waren. Dort konnten auch aktuelle politische und theologische Fragen diskutiert werden. Diese Disputationsform geriet zumindest in der Geschichtsschreibung im 14. und 15. Jahrhundert in Verruf, weil die diskutierten Themen immer absurder wurden. Rainer Christoph Swinges drückt es so aus: „[Die disputatio a quolibet] verflachte im Laufe des späten Mittelalters bis hin zur formalistischen Nonsens-Veranstaltung. Die berüchtigte quaestio nach der Zahl der Engel, die auf einer Nadelspitze Platz hätten, gehört in dieses Feld.“101 An dritter Stelle sind die disputationes privatae oder disputationes simplices zu nennen, bei denen man unter der Leitung eines magister regens nach den obligatorischen morgendlichen Lehrveranstaltungen sein Können üben und testen konnte. Solche disputationes fanden meist in den Kollegien statt oder wurden zumindest dort organisiert. Der leitende magister bei den disputationes privatae war wohl meist auch der regens der betreffenden Studierenden. In diesem Feld arbeitete Alvarus Thomas, als er den Liber de triplici motu schrieb. Die Kollegien boten aber auch andere exercitia an, bespielsweise die repetiones oder resumptiones genannten Wiederholungs- und Vertiefungsübungen.102 Daneben gab es auch Privatunterricht, der wohl extra bezahlt werden musste. Eine weitere Sonderveranstaltung war die disputatio in Sorbona, die immer sonnabends stattfand und von den Studierenden veranstaltet und ausgetragen wurden.103

Bezeichnenderweise erhielt man bei dieser weitaus mehr auf Mündlichkeit als auf Schriftlichkeit beruhenden Lehre seinen universitären Grad nicht durch das Schreiben einer Abschlussarbeit, sondern man erwarb den Grad des baccalaureus durch das Halten einer lectio und den Magistergrad durch das Leiten einer disputatio in der Öffentlichkeit.104 Diese Bakkalaureusprüfungen wurden determinatio genannt. Ein Jahr vor dieser determinatio musste der Studierende bei einer öffentlichen disputatio eine responsio ad quaestiones ausgeführt haben. Die Veranstaltung für den Erwerb des Magistergrads war die inceptio. Der Name weist auf die Aufnahme des Studenten in den Lehrkörper hin.105 Nur in Oxford waren bei den inceptiones quaestiones quodlibetales zugelassen, in denen man beliebige Themen besprechen konnte. Leff betont, dass zur Vorbereitung zum magister vor allem logische und naturphilosophische Themen disputiert wurden.106 Eine Disputation zum Erlangen des Magistergrades über Fragen zur Interpretation des aristotelischen Bewegungsbegriffs ist daher sehr wohl für die Zeit um 1500 vorstellbar. Nicht zuletzt hatte Alvarus Thomas als regens am Collège de Coqueret auch die Aufgabe, die Studierenden darauf vorzubereiten. Leider verzeichnen die Regesten der Aristenfakultät nicht, welche Thesen von den Magisteraspiranten bei ihrer Initiationsdisputation vorgestellt wurden.107 Dafür dass seine Studenten in seine Arbeit am Liber de triplici motu einbezogen waren, könnten die Gedichte von Dionysius Faber und Johannes de Haya sprechen, die im Liber de triplici motu abgedruckt wurden. Diese Gedichte funktionieren als kleine Vorworte an den Leser, der beispielsweise alles „zweimal“ lesen soll, aber sind sie keine Lehrgedichte zum Inhalt des Buches.108 Dass der Liber de triplici motu also genau für solche Studenten von Alvarus Thomas geschrieben worden ist, passt also auch in den gegenwärtigen Forschungsstand zur Artistenfakultät.

3.5 Die quaestio als Methode der Scholastik

Es scheint nach den vorherigen Unterkapiteln nicht verwunderlich, dass der Liber de triplici motu und der Unterricht an einer Artistenfakultät methodisch korrelieren. Die quaestio als die wichtigste Form einer hermeneutischen Methode in der Scholastik entwickelte sich zusammen mit den Universitäten im 12. Jahrhundert und verdrängte die ältere Form des bibelexegetischen Arbeitens.109 Vielfach wird sie positiv wie auch negativ als das Merkmal dargestellt, das die Scholastik entscheidend prägte. Die quaestio wird charakterisiert durch eine Kombination von Lehre und Forschung – oder genauer gesagt – in ihr gab es zwischen Lehre und Forschung keinen Unterschied.110 Thomas von Aquin sah die Ursprünge dieser Methode in den Schriften des Boëthius, zum Beispiel in Sätzen wie: Quaestio vero est dubitabilis propositio.111 „Die quaestio ist ein anzweifelbarer Vorschlag.“ Heute wird die Herausbildung dieser Methode eher nicht durch das historisierende Berufen auf Autoritäten, sondern als Prozess verstanden, der – wie William J. Hoye 1997 interpretiert – beim Philosophieren während einer lectio entwickelt wurde, in der ein Text durch den Magister auf mindestens zwei unterschiedliche Art und Weisen logisch interpretiert und der Wert dieser Interpretationen abgewogen wurde.112 Dieses Verfahren standardisierte sich schließlich, zumal es gut mit den Regeln der Logik zu verbinden war. Hoye bezeichnet die quaestio im Übrigen als die Grundsteinlegung der akademischen und damit einhergehend der wissenschaftlichen Freiheit.113 Im Laufe des Mittelalters differenzierte sich die quaestio in die quaestio disputata während einer disputatio und in die quaestio edita aus, also in eine verschriftlichte Ausprägung der quaestio, wie sie in den tractatus zur Bewegung bei Alvarus Thomas zu finden ist. Quaestio wird daher in Bezug auf die quaestio edita auch als eine literarische Gattung verstanden.

Die wichtigste Form der quaestio für den Universitätsbetrieb war aber die quaestio disputata einer disputatio, die im Unterschied zur Ursprungsform nicht von einer Person vorgetragen wurde, sondern zwischen einem Redner, dem opponens, und mindestens einem Gegenredner, dem respondens, sowie dem Leiter der disputatio bestritten wurde. Diese Form der quaestio löste sich vollkommen vom vorgetragenen Text. Der Leiter hatte die quaestio disputata zu stellen, die der Redner mit obiectationes in Zweifel zu ziehen hatte, und die der Gegenredner wiederum mit eigenen obiectationes widerlegen oder zumindest dazu Stellung beziehen musste. Solche obiectationes wurden dann auch responsiones genannt. Der Leiter wiederum sammelte die Argumente und stellte sie im Idealfall zusammen mit seiner Lösung der Streitfrage in der nächsten lectio den Studierenden vor. Aus den Notizen des magisters konnte sich wiederum gegebenenfalls eine editio ergeben, die dann wiederum in den disputationes privatae für den Unterricht genutzt werden konnte.114 Auf diese Art und Weise ist bereits ein Kreislauf zwischen dem, was heute Lehre und Forschung genannt wird, in der mittelalterlichen Universität vorhanden. Hiervon muss man aber quaestiones unterscheiden, die wie in den Summa theologiae von Thomas von Aquin vorwiegend zum Selbststudium geschrieben wurden.115

In der Diskussion konnte man sich auf Einwände und Lösungsmöglichkeiten verschiedener Philosophen berufen. Hoye schreibt, dass die Meinung des Vortragenden zwar im Vordergrund stand, andererseits aber mit Hilfe von Autoritäten beziehungsweise markanten Sätzen dieser Autoritäten die Tradition zur Geltung gebracht werden sollte.116 Dies galt auch für die quaestio edita. Alvarus Thomas griff ebenso auf Autoritäten wie Aristoteles oder Swineshead zurück, in wenigen Fällen sogar auf antike Dichter wie Horaz oder Vergil.117 In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dass auch Bücher mit Sammlungen von sententiae bekannter Naturphilosophen oder Theologen entstanden, aus denen man die quaestio ableitete oder die man auswendig gelernt verwendete, um die eigene Aussage zu stützen wie zum Beispiel die Sententiae von Petrus Lombardus.118

Die Struktur einer quaestio war im Wesentlichen dreigeteilt. Erst erklärte der lector, warum eine bestimmte Vorstellung anzuzweifeln war, und stellte erst gegenteilige und dann befürwortende Argumente zu dieser spezifischen Frage auf. Diesen pädagogisch anmutenden Teil nannte man dubitatio. Als Zweites präsentierte der Vortragende seine eigene Meinung und drittens verhielt er sich zu den tradierten Argumenten und trug die determinatio vor, die Lösung des Problems aus seiner Sicht.119 Bernardo C. Bazàn analysierte, dass dieses Verfahren von vier Faktoren abhängig war: Dem Text, der besprochen werden sollte, dem Grad der Unterschiede zwischen den Interpretationen einer bestimmten Textstelle, der dialektischen Methode und der Erfahrung der Person, die die quaestio präsentierte.120

Bei Alvarus Thomas gibt es ein ausgeprägtes, die quaestio betreffendes methodisches Vokabular, das zur Gliederung des Textes verwendet wird.121 In der Regel gliedern sich seine quaestiones in das Benennen der eigentlichen quaestio, einer sehr kurzen dubitatio, den darauf folgenden Argumenten, die Alvarus Thomas als rationes bezeichnet, der determinatio und den responsiones des Autors zu den Argumenten am Ende der quaestio. Die rationes untergliedern sich häufig in mehrere Gegenargumente und wiederum deren Gegenargumente. Die determinatio ist häufig in suppositiones und conclusiones unterteilt. Auch in den rationes der dubitatio findet sich manchmal eine Unterteilung in suppositiones und conclusiones. Gelegentlich baute Alvarus Thomas auch Exkurse in seinen Text ein, um Hintergrundwissen zu vermitteln. Diese werden als notabile beschriftet. Ein weiterer, sehr häufig benutzter Term ist corollarium. Damit werden Aussagen gekennzeichnet, die sich aus dem Vorherigen logisch ergeben. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine am Ende der Korollare eines Argumentationspunktes vor dem nächsten Argument häufig verwendete Phrase bei Alvarus Thomas: „Finde weitere Korollare“. Möglicherweise lässt sich dies in Zusammenhang mit den „Prüfungen“ der Magisteraspiranten deuten. Wie oben erwähnt finden sich in den Regesten der Pariser Universität keine Aufzeichnungen, welche Themen von den einzelnen Prüflingen besprochen wurden. Möglicherweise konnte ihre wissenschaftliche Leistung bei der inceptio durch das Aufstellen neuer Korollare eines bekannten Arguments bestehen. Damit konnten sie zeigen, dass sie einerseits die Tradition beherrschten und andererseits selbstständig Wissen in einer spezifischen Frage anwenden konnten.122

Aus inhaltlicher und aus institutioneller Sicht gab es eine weitere Ausdifferenzierung der quaestio disputata, die der Vollständigkeit halber erwähnt werden sollte. Die quaestio quodlibetalis, in der thematisch alles mögliche verhandelt werden konnte, war, wie Hoye es beschreibt, der Höhepunkt des akademischen Lebens, für den alle weiteren universitären Veranstaltungen verlegt wurden. Auch hier war die Form der universitären Veranstaltung eine disputatio, und zwar eine disputatio extraordinaria. Im Gegensatz zu den anderen quaestiones stellte nicht der leitende magister die quaestio, sondern ein beliebiger Anwesender, und sie wurde daher auch quaestio a quolibet genannt. Daraufhin wurden von allen Anwesenden die Argumente vorgebracht. Dann zog man sich zurück. In einem zweiten Teil der Veranstaltung fasste der leitende magister die vorgeschlagenen Argumente zusammen, verhielt sich zu ihnen und stellte seine Lösung vor. Man verbrachte den ganzen Tag mit einer solchen quaestio a quolibet. Der erste Teil fand meist vormittags, der zweite nachmittags statt. Solche Veranstaltungen fanden aber nur zur Advents- und zur Fastenzeit statt und wurden daher als in natali oder in pascha bezeichnet.123 Diese Form der quaestio hat allerdings nicht viel mit dem Liber de triplici motu zu tun.124

Entscheidend für die Entstehung des Liber de triplici motu war möglicherweise der oben beschriebene Zusammenhang zwischen quaestiones disputatae und den quaestiones editae. Der gesamte dritte Teil zur Bewegungslehre im Liber de triplici motu und die letzten drei Kapitel im zweiten Teil, also der bei weitem überwiegende Teil des Buches, ist der literarischen Gattung nach eine quaestio. Es ist gut möglich, dass der Autor für einige seiner quaestiones editae viel Material aus den disputationes simplices mit seinen Schülern gezogen hat und sie für den Druck im Liber de triplici motu überarbeitet und systematisiert hat. Eine weitere Informationsquelle außer den im Liber de triplici motu angeführten Autoritäten könnten für Alvarus Thomas auch die disputationes zum Erlangen des Magistergrades und die disputationes ordinariae gewesen sein. Das spräche für eine sehr lebendige Rezeption der Kalkulatoren an der Pariser Universität während der Zeit von Alvarus Thomas und würde den Bedarf für Studenten nach einer Einführung in diese Tradition erklären.

3.6 Sophismata und synkategoremata

Ein schwer vom Aufbau einer quaestio trennbarer, aber anderer methodischer Bereich, der auf die Naturphilosophie von Alvarus Thomas und der Kalkulatoren und auf die Scholastik im Allgemeinen einen enormen Einfluss ausübte, war die aristotelische Aussagenlogik und ihre mittelalterlichen Weiterentwicklungen. Sie diente einerseits dazu, Argumente in den jeweiligen quaestiones zu beweisen, anderseits mit der Unterstellung der Ungültigkeit auch dazu, diese Argumente nicht anzunehmen. Grundlage der Logik war die Unterscheidung in wahre und falsche Aussagen, die eine Deduktion zuließen oder auch nicht. Unter den mittelalterlichen Weiterentwicklungen der aristotelischen Logik stechen sophismata und synkategoremata heraus. Sophismata hatten auf die Entwicklung der Naturphilosophie nämlich einen besonderen Einfluss.125 Gordon Leff charakterisiert diese sophismata als „unabhängige logische Fragestellungen zu einem problematischen Satz oder Paradox mit einem prädikativen Begriff wie ,neben‘, ,beginnend‘, ,endend‘, der sowohl logisch wie auch mathematisch behandelt werden konnte.“126 Raina Kirchhoff führt aus:

„Unter einem Sophisma versteht man einen Satz, dessen exakte Bedeutung (bzw. Bedeutungen, da es sich oft um mehrdeutige Sätze handelt) nur durch die Einführung subtiler semantischer bzw. logisch-syntaktischer (und erst in Hinblick auf den Aussagegehalt semantischer) Unterscheidungen bestimmt werden kann. Dieser Satz wird meist zusammen mit einem (ihm vorangestellten) positum geliefert – d.h. der Setzung einer bestimmten Situation / eines bestimmten ,universe of discourse‘, innerhalb derer bzw. dessen er geäußert wird.“127

Der Begriff sophisma wird im weiter gefassten Sinne aber auch zur Bezeichnung einer Literaturgattung verwendet, also Werken, die sich mit sophismata beschäftigten. So begann sich unter dem Einfluss der Oxforder Kalkulatoren neue Literaturgattung zur Behandlung der naturphilosophischen Fragen zu entwickeln, wobei es sich formal gesehen oftmals um quaestiones handelte. Eines der einflussreichsten Werke waren die regulae solvendi sophismata von William Heytesbury aus dem Jahr 1335.128 In diesem in den Umgang mit sophismata einführenden Buch findet sich ein ganzes Kapitel zur Bewegungslehre. Rainer Kirchhoff unterscheidet drei Formen dieser Gattung, die allerdings schwer voneinander abzugrenzen sind: Die Sophismatatraktate, die Synkategorematatraktate und die Sophistarialiteratur.129 Unter Syncategoremata verstand man

„‘logischeʼ Wörter, die (wenigstens dem Anschein nach) keine Konstituenten der Wirklichkeit bezeichnen oder zu bezeichnen vorgeben. Quantifikatoren wie ‹omnis›,‹quicquid›, ‹qualelibet› und Konjunktionen wie ‹si›,‹an› sind typische Synkategoreme. Die meisten Verben, Nomina und Adjektive dagegen wurden als Kategoreme angesehen, wenn auch einige von ihnen, wenigstens unter Umständen, als Synkategoreme behandelt wurden, so besonders ‹est›, ‹incipit›, ‹desinit› und ‹unum›.“130

Der Unterschied zwischen den Sophismatatraktaten und den Synkategorematatraktaten bestand nur darin, ob der Schwerpunkt des Traktats auf dem sophisma lag, oder ob die syncategoremata im Mittelpunkt der Untersuchung standen und besprochen wurden. Kompliziertere sophismata wurden nämlich in der Regel aus dem Blickwinkel der syncategoremata behandelt. Syncategoremata erklärte und illustrierte man wiederum mit Hilfe von sophismata. Diese beiden Arten von Traktaten waren meist darauf ausgerichtet, dass man die Methode sophismata zu lösen verinnerlichte oder problematisierte und die verschiedenen syncategoremata systematisch darstellte. In der Sophistarialiteratur beschäftigte man sich dagegen mit den sophismata lösungsorientiert. In der Zeit von Alvarus Thomas bezeichnete man aber eher alle diese drei Formen als sophistaria. Die feinen Abgrenzungen konnten wahrscheinlich formal nicht aufrecht gehalten werden.131 Die quaestiones zur Bewegungslehre im Liber de triplici motu kann man daher ebenfalls in die sophistaria-Literatur einordnen. Dafür sprechen die Verwendung von Synkategoremata in den Traktaten zur Bewegungslehre, besonders von incipit und desinit und die Wenn-Dann-Satzkonstruktionen bei Alvarus Thomas. Die Begriffe „sophismata“ und „sophistaria“ werden selbst nicht bei Alvarus Thomas verwendet. Syncategorema wird mehrmals adjektivisch im Liber de triplici motu gebraucht.132 Die eigentlichen Fragen im Liber de triplici motu zur Bewegungslehre können aber als sophismata verstanden werden, die dann in Form einer quaestio beantwortet werden. So lautet die quaestio des Kapitels 3.3.1 im Liber de triplici motu:

Quaero, utrum raritas et densitas sit possibilis.

„Ich frage, ob die raritas und die Dichte möglich sind.“133

Die Literaturgattung der sophismata ist eng verbunden mit der disputatio de sophismatibus. Sie sind in die disputationes simplices einzuordnen.134 Disputationes de sophismatibus gehörten frühzeitig zum Pflichtprogramm der Studierenden an einer Artistenfakultät, wie die Statuten der englischen Nation an der Pariser Universität aus dem Jahr 1252 belegen. Ihre Grundlage waren die Sophistici elenchi, die zur logica nova gehörten. In der Ars disserendi aus dem Jahr 1132 von Adam Parvipontanus wurden die Diskussionen über sophismata als eine Übungsform für fortgeschrittene Studierende beschrieben.135 Die ist ein weiterer Hinweis, dass sich auch der Liber de triplici motu an solche fortgeschrittene Studenten beziehungsweise deren Tutoren richtete.

3.7 Anwendungsfelder der Naturphilosophie oxfordscher Prägung an der Pariser Artistenfakultät um 1500

Die Kontextualisierung von Alvarus Thomas innerhalb der universitären Institutionen von Paris im vorherigen Kapitel diente dem Ziel, sich ein Bild der damaligen institutionalisierten Wissensvermittlung an den Universitäten und somit der Träger der Oxforder Tradition zu machen, den Lehrenden und Studierenden. Bisher standen mehr inhaltliche Erklärungen einzelner Abschnitte des Liber de triplici motu beziehungsweise intertextuelle Beziehungen zu den Werken anderer Autoren im Mittelpunkt der Untersuchungen und weniger das historische Umfeld von Alvarus Thomas.136 Ein Abschnitt im Aufsatz von William Wallace situierte Alvarus Thomas innerhalb eines wissenschaftlichen Netzwerks, wobei die Auswahl der angeführten Personen allerdings eingeschränkt ist.137 Für Wallace waren nur solche Persönlichkeiten wichtig, mit denen er eine Verbindung – meist in Form von Lehrer-Schüler-Verhältnissen, aber auch das Umfeld bestimmter Institutionen wie die Pariser Universität – zwischen den Oxforder Kalkulatoren bis zu Domingo de Soto aufzeigen konnte. Die Rolle von Alvarus Thomas war dabei weitestgehend die eines Arbeitskollegen von Juan de Celaya, dem Lehrer von Domingo de Soto. Edith Sylla zog – vor allem in ihrem Artikel zur Rolle der Logik im frühen 16. Jahrhundert – den historischen Kontext in Hinsicht auf Alvarus Thomas und den Liber de triplici motu mehr als alle Rezipienten des Buchs vorher in Betracht und wies bereits darauf hin, dass man die zeitgenössische Bedeutung des Buchs innerhalb des disputativen Bereichs der Universitäten ansiedeln solle.138

Der Liber de triplici motu von Alvarus Thomas war an Studierende vor der Magisterinitiation und deren Tutoren gerichtet und wurde dementsprechend in scholastischen quaestiones fast pädagogisch aufgearbeitet. Das bedeutet, dass das Buch im universitären Umfeld einen bestimmten Zweck verfolgte, nämlich Magisteraspiranten Hilfestellung bei der Ausarbeitung ihrer Thesen für ihre inceptio zu bieten. Durch die inceptio erhielten diese Studenten den akademischen Grad eines Magisters, der es ihnen ermöglichte, die weiterführenden Fakultäten zu besuchen und auch mit der licentia docendi als regentes an den Collèges der Artistenfakultät zu arbeiten. Dadurch bezeugt das Buch einen lebendigen Diskurs an der Pariser Artistenfakultät über Naturphilosophie nach der Art der Oxforder Kalkulatoren zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung, der nicht nur Einzelpersonen betraf, sondern dem sich alle Pariser Studierenden zu stellen hatten.

Dass naturphilosophische Thesen oxfordscher Prägung bei den inceptiones eine herausragende Rolle gespielt haben, kann leider nicht durch die Aufzeichnungen zu den inceptiones der Magisteraspiranten in den Regesten der Pariser Artistenfakultät verifiziert werden.139 In diesen Regesten wurde nur aufgezeichnet, ob die Studierenden ihre Prüfung bestanden hatten und wer bei der inceptio anwesend war. Dagegen wurde nicht dokumentiert, welche Themenkomplexe die Prüflinge bei ihrer inceptio in den Magisterstand ihre Disputation bestritten oder welche Thesen sie verteidigten. Solche Informationen wären für die Begründung der These wünschenswert gewesen, dass sich der Liber de triplici motu an solche fortgeschrittene Studenten richtete, die in ihrer inceptio thematisch über Naturphilosophie disputieren wollten. Andererseits füllt diese These so eine Informationslücke, die das Schweigen der Quelle aufwirft. Naturphilosophie oxfordscher Prägung eignete sich besonders gut für den Abschluss der Artistenfakultät, weil – wie oben beschrieben – die meisten an einer Artistenfakultät zu erlernenden Fähigkeiten in diesem Diskurs angewandt werden konnten.140 Die Oxforder Tradition der Naturphilosophie hätte dann eine wahrlich zentrale Bedeutung für den Diskurs an der Pariser Artistenfakultät, weil diese Auseinandersetzungen nicht nur als ein Diskurs zwischen interessierten Universitätsgelehrten stattfanden, sondern auch von den Magisteraspiranten aufgegriffen, kopiert und erweitert wurden. Das stellt eine weitaus spezifischere Zuweisung eines Rezipientenkreises dar, als wenn man diese Rezipienten in einem Umfeld ansiedelt, das als „ambiente intelectual“ charakterisiert wird, wie es Carlos Correia de Sá in einem abschließenden Satz anspricht.141 Nicht jeder Student ist intellektuell, aber jeder Student kann sich vorbereiten und lernen, wenn man ihm die entsprechenden Argumente auf Fragen vorlegt, wie Alvarus Thomas es in seines quaestiones tut. Durch die inceptio war der Diskurs über Naturphilosophie zudem in gewisser Weise institutionalisiert und konnte so vielleicht eine Eigendynamik hinsichtlich der Ausarbeitung der neuer Thesen zur Bewegungslehre entwickeln. Auch Alvarus Thomas hätte von solchen Disputationen für die Ausarbeitung des Liber de triplici motu profitieren können. Seine quaestiones über Bewegung können von tatsächlichen disputationes inspiriert gewesen sein. Diese Rückkopplungsprozesse zwischen Lehre, Disputation und Buchproduktion sind charakteristisch für das, was man Forschung im Mittelalter nennen könnte. Die Schlussfolgerung wird durch folgende Indizien untermauert:

1In der Untersuchung des Lehrinhalts der Pariser Artistenfakultät wurde deutlich, dass Kenntnisse aus allen artes liberales und ein grundlegendes Verständnis der aristotelischen Philosophie vonnöten waren, um den Liber de triplici motu ohne Kommentierung zu verstehen. Beispielsweise musste man zum Lesen des Buchs von Alvarus Thomas die Praedicamenta von Aristoteles verinnerlicht haben, denn die Kenntnis der darin definierten Begriffe wie substantia oder qualitas wurde von Alvarus Thomas vorausgesetzt.142 Auch grundlegende mathematische Begriffe wie Kreis, Quadrat oder Wurzel werden von Alvarus Thomas nicht definiert. Hier griff der Autor auf bereits erworbenes shard knowledge zurück. Dafür wurde im Liber de triplici motu das über diese Grundkenntnisse hinausgehende mathematische und naturwissenschaftliche Wissen in den didaktischen Teilen des Liber de triplici motu aufbereitet. In diesem Zusammenhang ist auch die Einführung in die Proportionslehre zu verstehen, die Alvarus Thomas vor die quaestiones zur Bewegungslehre gestellt hat. Die Proportionslehre gehörte nicht zu den vorgeschriebenen Lehrinhalten der Artistenfakultät in Paris. Jeder fortgeschrittene Studierende sollte aber durch das Studium des Liber de triplici motu in die Lage versetzt werden, auch die Bewegungslehre auf dem gegenwärtigen Stand der damaligen Wissenschaften zu behandeln, wenn er eine These für die inceptio aufstellen wollte oder sollte. Kennern der Naturphilosophie oxfordscher Prägung hätte eine Einführung in die Proportionslehre dagegen keinen zusätzlichen Nutzen gebracht.

2Weiterhin spricht die thematische Auswahl der diskutierten Fragen dafür, die Zielgruppe des Buchs im Umfeld fortgeschrittener Studierender der Artistenfakultät anzusiedeln. Die Artistenfakultät hatte in dieser Zeit eine propädeutischen Funktion für die weiterführenden Fakultäten. Sie stand somit in gewisser Weise unter dem Druck, etwas zu unterrichten, was auch für die Theologie oder die Medizin der damaligen Zeit relevant war. Alvarus Thomas sprach bei der Behandlung der generatio et corruptio, einem der vier Teilaspekte des aristotelischen Bewegungsbegriffs, auch das Schaffen von Engeln oder der Qualität „Krankheit“ an, also Themen, die den Topos Bewegung als Fakultäten übergreifend relevant darstellen. (Allerdings verwundert dies weniger, wenn man bedenkt, dass bei den Oxforder Kalkulatoren und ihren Nachfolgern stets der aristotelische Bewegungsbegriff verwendet wurde und einer der Vorteile des aristotelischen Systems zu sein schien, dass es disziplinübergreifend war und das Wissen als etwas Gesamtes auffasste.)

3Ein drittes Indiz, dass sich das Buch an Magisteraspiranten richtete, sind die inhaltlich weniger bedeutsamen, aber häufiger zu findenden Phrasen im Text des Liber de triplici motu wie „Finde selbst weitere Korollare“ oder „Du wirst auch gut antworten, indem Du folgendermaßen argumentierst“.143 An diesen Stellen wird ein Leser direkt angesprochen. Man sollte solche Bemerkungen nicht einfach als rhetorische Makulatur verstehen. Von einem literarischen Dialog wie Galileos Dialogo ist der Liber de triplici motu weit entfernt. Beispielsweise gibt keine personalisierten Dialogpartner, die jeweils eine bestimmte Ansicht in den Argumentationen verfolgen. Diese Phrasen können so gedeutet werden, dass Magisteraspiranten an diesen Stellen das Ausarbeiten ihrer Thesen ansetzen sollen beziehungsweise sich auf entsprechende Einwände vorbereiten sollen. Im Ausarbeiten eines „neuen Korollars“ könnte auch der Anspruch an die Eigenständigkeit der Thesen für die inceptio liegen. Diese Interpretation würde die Informationslücke zu den Inhalten der Thesen bei den Prüfungen in den Regesten ausfüllen.

4Nicht zuletzt spricht der auffällige Verzicht auf geometrische Darstellungen im Liber de triplici motu für die Ausrichtung des Buchs auf orale Veranstaltungen wie die inceptio, weil wahrscheinlich während einer Disputation der damaligen Zeit keine Tafeln oder andere visuelle Hilfsmittel genutzt wurden oder erlaubt waren. Diesen Gedanken haben auch Edith Sylla und Carlos Correia de Sá angeführt.144

3.8 Der Zugriff auf antike, mittelalterliche und zeitgenössische Literatur um 1509 in Paris

Die Lehre an einer Universität um 1500 war im Wesentlichen mündlich bestimmt oder hat zumindest weitaus mehr als heute auf Schriftlichkeit wie zum Beispiel im Sinne einer schriftlichen Abschlussarbeit verzichtet. Bücher waren dennoch für die Auseinandersetzungen an den damaligen Universitäten unverzichtbar. Die Methode der quaestio implizierte in gewisser Weise sogar eine Abhängigkeit der universitären Lehre von Büchern, in denen das Wissen überliefert wurde, zumal die große Mehrzahl der Positionen, die Alvarus Thomas diskutiert, von Gelehrten stammten, die bereits seit langem tot waren. Oft hatten diese sogar einen universitären Beinamen. Alvarus Thomas nutzt beispielsweise die Bezeichnung philosophus für Aristoteles weitaus häufiger als den Namen des Philosophen selbst.145 Aber gerade diese Verbindung von besprochenen Positionen mit der Person, die eine gewisse Position erstmals vertreten oder die sie zumindest besprochen hat, ist für die Werke der damaligen Zeit charakteristisch.146 Eine große Anzahl der gedruckten Marginalien im Liber de triplici motu sind Namensangaben, teilweise verbunden mit Werkangaben, aber nicht durchgehend. Manchmal wird sogar ein bestimmtes Kapitel angegeben.147 Das Kriterium der Referenzierbarkeit, das eines der Merkmale von Wissenschaftlichkeit darstellt, ist für die Wissenschaft der Frühen Neuzeit – wenn auch mit Einschränkungen hinsichtlich der Genauigkeit – erfüllt.148

Ohne Bücher beziehungsweise schriftliche Aufzeichnungen ist daher das Studium und der Unterricht an einer Universität zur Zeit von Alvarus Thomas kaum vorstellbar. Während aber der Umfang der erhältlichen Titel im Mittelalter vergleichsweise gering war, verbesserte sich die Situation seit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern stetig. Es verwundert daher kaum, dass der Zugang zu den schriftlichen Quellen des Studiums im Mittelalter stark reguliert gewesen ist. Ein universitäres Bibliothekswesen bildete sich im 14. Jahrhundert zuerst in den Kollegien aus. Man kann daher annehmen, dass Alvarus Thomas Anfang des 16. Jahrhunderts auf einen größeren Bestand im Collegé de Coqueret zurückgreifen konnte.149

Der Buchdruck erlaubte es in Paris wahrscheinlich erst, dass auch finanziell schlechter aufgestellte Collèges eine eigene, wohl ausgestattete Bibliothek aufbauen konnten, ohne auf die weniger gut zu organisierenden und teureren Handschriften angewiesen zu sein. Auffällig ist – wie erwähnt – dass so gut wie alle Werke, auf die im Liber de triplici motu verwiesen wird, in gedruckter Form in Europa erhältlich waren.150 Der Buchdruck erlaubte es im Übrigen, dass nicht nur die antiken und mittelalterlichen Werke häufiger in Bibliotheken vorliegen konnten, sondern dass sich auch neue Werke schneller als zuvor in ganz Europa verbreiteten. Ein Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung, die Alvarus Thomas in seiner Einführung in die Proportionslehre mit den Thesen von Bassanus Politus führt.151 Dass eine Reaktion auf verschriftliche Thesen dieser Zeit innerhalb von vier Jahren erfolgte, ist ohne Buchdruck weitaus schwerer vorstellbar.

Man sollte in Zusammenhang mit dem Buchdruck aber auch den Buchhandel erwähnen, über den die Universitäten ihre Bücher bezogen. Dieses Netzwerk von Buchhändlern erlaubte es, dass neu erschienene Bücher zu dieser Zeit relativ schnell in den Universitätsstätten Europas erhältlich waren. Buchhändler, die oft auch Werkstätten zum Kopieren der Bücher oder einzelner Abschnitte hatten, wurden stationarii, mercatores oder venditores librorum genannt.152 Die stationarii besaßen Listen mit den auf dem Markt erhältlichen Büchern. Alvarus Thomas hätte mit entsprechender finanzieller Unterstützung auch viele Bücher kaufen können. Wahrscheinlich ist aber eher, dass das Collège dafür sorgte, dass solche Werke in seiner Bibliothek vorlagen. Man könnte argumentieren, dass eine solche Fachbibliothek auf andere Werke verzichtete, die nicht die Ausbildung relevant waren. Ein solches Buch, das Alvarus Thomas durchaus gekauft haben könnte, mag die Gedichtsammlung des Carmelitermönchs Giovanni Battista Spagnuoli (*1447 Mantua - † 1516 Mantua) sein, auf den Alvarus Thomas einmal verweist und der unter gebildeten Zeitgenossen von Alvarus Thomas als bekannt gilt. Heute rechnet man den Dichter zu den Humanisten.153 Alvarus Thomas verweist im Kapitel 3.4.1 auf zwei Zeilen eines seiner Gedichte, um poetisch zu unterstreichen, wie schwierig sich für den Menschen Anfänge gestalten.154 Assoziiert werden dort die Anfänge mit der Situation von Maria, der Mutter Jesu von Nazaret.155 Bei dieser Stelle handelt es sich im Übrigen um eine der wenigen ethischen Reflexionen von Alvarus Thomas im Liber de triplici motu. In derselben Spalte finden sich auch die einzigen Verweise auf die Selbstbetrachtungen von Marc Aurel, die Nikomachische Ethik von Aristoteles und die Georgica von Vergil. Die Argumentation mit diesen Autoren ist vergleichbar mit der Argumentation, die im vorherigen Kapitel behandelt wurde.

Buchhändler standen zum Teil unter Kontrolle der universitas. Sofern sie die Vorlesungsskripte der Lehrenden, die ungebundenen peciae, für die Studierenden kopieren durften, hießen sie stationarii peciarum. Ihre Anzahl war in Paris um 1300 auf fünf begrenzt worden. Die Vergabe eines solchen Privilegs bot dementsprechend eine gute Einkommensquelle. Die peciae wurden sowohl vermietet als auch verkauft.156 Vorstellbar ist, dass auch die mathematischen Teile des Liber de triplici motu separat in Form von peciae angeboten wurden. Leider ist nicht bekannt, ob die Buchhändler von Alvarus Thomas ein Pezienprivileg hatten.157

3.9 Interpretation der Dedikation

Mit der Etablierung des Unterrichts im Disputieren über sophismata setzte auch die Kritik an den dort vermittelten Erkenntnissen ein. Der Bischof von Paris, Étienne de Tournai verglich die Argumentation der magistri mit dem Fangen von Fliegen in einem Spinnennetz.158 Solche Fliegenfänger waren wahrscheinlich aber auch gefürchtet. Alvarus Thomas schreibt in seinem Dedikationsbrief an Peter de Meneses am Anfang des Liber de triplici motu:

„Prodiderunt veteres clavem Herculis templi sui toxibus appensam procul hinc canes et muscas solo quidem olfactu abigere. Non secus et omnis litteratorum chorus, qui suis monumentis aeternitati commendari velint, extimat suam feturam insignis cuiuspiam patroni nomine perinde ut clava fretam et ab omnibus oblocutorum aculeis vindicari et auspicato in vulgus exire.“159

„Die Altvorderen verraten, dass der Türriegel zum Tempel des Herkules mit Gift versehen wurde, um so von weitem her die Hunde und die Fliegen durch seinen Gestank allein zu vertreiben. Nicht anders auch meint jeder Chor an Literaten, die ihre Andenken der Ewigkeit übergeben wollen, sein Kind, das ebenso auf den Namen jemandes bekannten als Beschützer wie ein Türriegel vertraut, von allen Nadelstichen der Verleumder zu retten, und [dadurch] unter einem guten Vorzeichen in die Öffentlichkeit zu treten.“

Diese Information über den Tempel des Herakles nahm Alvarus Thomas sehr wahrscheinlich aus der Historia naturalis von Plinius, auch wenn es nicht gekennzeichnet wurde.160 Interessant ist die Begründung für die Dedikation des Werks; nämlich zum Schutz vor Verleumdung.161 Welche Hunde und Fliegen genau einen Autor oder Alvarus Thomas im Speziellen verleumden würden, wird in der Quelle selbst nicht deutlich. Aber da der Liber de triplici motu in der Traditionslinie der sophismata steht, kann man entweder vermuten, dass es sich um besonders bemühte Fehlschlusssucher handelt, oder aber um handfeste Gegner der Sophismatatradition im Allgemeinen und der Erkenntnisse der Naturphilosophie im Speziellen. Eine mögliche Lesart dieser Stelle ist daher, die Fliegen als Fehlschlusssucher und die Hunde als Gegner der Naturphilosophie zu interpretieren.

Die Assoziation von neunmalklugen Kritikern mit Fliegen scheint sich bis ins frühe 16. Jahrhundert zu einem Topos entwickelt zu haben. Auch der heutzutage weitaus prominentere Roger Bacon konnte sich gegen solche Sophistereien nicht mit seiner Kritik zurückhalten und verfasste ein ganzes Buch zu nicht vertretbaren Argumenten, das De erroribus medicorum, das sich allerdings gegen die Mediziner und nicht gegen die Naturphilosophen richtete. In die Reihe der Kritiker der sophismata reiht sich auch Albertus Magnus ein, seines Zeichens selbst Naturphilosoph, Theologe und Dominikaner.162 Die Dominikaner waren im Übrigen ein belasteter Orden in den Augen der Vertreter und Sympathisanten von sanktionierten Gedankengut. Der Orden stellte einen beachtlichen Teil der Inquisitoren.163 Man nannte daher die dominicani auch canes domini, also die Hunde des Herrn. Diese Umstände waren vielleicht für Alvarus Thomas Grund genug, Schutz vor Hunden zu suchen und auch Fliegen, die solche Hunde möglicherweise auch anzogen. Anscheinend stand die Naturphilosophie trotz der Erlaubnis der Lehre der aristotelischen Schriften unter einer Art Generalverdacht, häretische Gedanken zu produzieren. Den Naturphilosophen war es sicher angetan, einen bestimmten Rahmen nicht zu übertreten, zumal Alvarus Thomas anscheinend keinem kirchlichen Orden beigetreten war. Die Anspielung auf die Dominikaner lässt sich durch die Referenz auf einen antiken Text zumindest gut verstecken. Die Furcht der Naturphilosophen vor der Inquisition bestärkt im später erwähnten Streit um die Eigenständigkeit der Naturphilosophie zwischen Andrew Cunningham und Edward Grant auch die Seite der relativen Eigenständigkeit der Disziplin von Grant.164

3.10 Eine Argumentationsweise mit Verweisen auf Quintilian, Horaz, das Neue Testament und die Kabbala

Die Argumentationsweise von Alvarus Thomas ist im Allgemeinen aus methodischer Sicht sehr homogen. Er benutzt definierte Begriffe, bei der Beantwortung der jeweiligen Fragen folgt der Autor der beschriebenen Struktur einer quaestio, und die einzelnen Argumente werden in scholastischer Tradition logisch begründet. Es gibt aber auch Ausnahmen, die immer dann auftreten, wenn der Autor selbst seine Argumentation als unzureichend empfindet und in diesem Zusammenhang auf Autoritäten außerhalb der Naturphilosophie verweist. Beispielsweise sind im Liber de triplici motu in einer auf den ersten Blick ungewöhnlichen Kombination Verweise auf den Dichter Horaz, den Rhetoriker Quintilian, die Kabbala und das Neue Testament, die aus wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht nicht weiter bedeutend sind, aber durch die Anspielungen etwas zum kulturellen Umfeld der Universität offen legen. Der Abschnitt findet sich im dritten Teil des Liber de triplici motu bei der quaestio, ob die Dünnheit und die Dichte zwei unterschiedliche Qualitäten eines Körpers seien, oder ob beide Terme vielleicht auch nur eine Qualität bezeichnen. Die Beantwortung dieser quaestio nimmt mehrere Seiten ein, an deren Ende vier Notabilien stehen, die Alvarus Thomas von Richard Swineshead übernommen hat, die der Autor aber nicht beweisen will. Im Anschluss findet sich eine Argumentation, wie sie bis dahin im Liber de triplici motu nicht aufgetreten ist.165 Es heißt:

Haec notabilia, quae numero quaternario absolvuntur, tanta subtilitate et industria et improbo labore exquisita sunt, ut merito quibuscumque aliis huius libelli conclusionibus et praeferri et anteponi possint. Quapropter non abs re eorum demonstrationes atque probationes huic operi censui non interserendas. Malui enim propter illorum notabilium elaboratam subtilitatem et industriam, ut eorem probationes velut scientia caballae propagentur et traducantur.166

„Diese Notabilien, die vier an der Zahl sind, werden mit so viel Feingliedrigkeit aufgelöst und sie sind mit [so viel] Fleiß und schelmischem Aufwand ausgesucht worden, dass sie verdienstvoll einigen anderen Schlüssen dieses Büchleins vorgezogen und vorangestellt werden könnten. Daher meine ich, dass deren Nachweise und Beweise nicht unpassender Weise nicht hinzugefügt werden müssen. Denn ich mochte es so lieber wegen der ausgearbeiteten Feingliedrigkeit dieser Notabilien und des Fleißes, dass ihre Beweise wie das Wissen um die Kabbala überliefert und weiter getragen werden.“

Und weiter heißt es:

Et ut verum fatear, praecipua causa non demonstrandi haec notabilia est, quia nondum opinior, – ut cum Quintiliano loquar – demonstrationes illorum satis maturuisse. Utendum enim censeo Horatii consilio, qui in arte poetica suadet, ne praecipitetur editio, {nonnumque} prematur in annum. Volo insuper aliorum sententias audire usus dotrina Iacobi: Sit omnis homo velox ad audiendum, tardus ad loquendum. Et non abs re quidem quam nonnumquam credimus teste philosopho habere demonstat[r]ionem, quam non habemus, et scire, quando erramus.167

„Ich möchte wahr zugestehen: Es gibt einen vorzüglichen Grund, diese Notabilien nicht nachzuweisen, [und zwar] dass ich noch nicht meine (um mit [den Worten von] Quintilianus zu sprechen), dass ihre Nachweise ausreichend ausgereift sind. Denn ich finde, dass der Rat des Horatius genutzt werden muss, der in der ars poetica empfiehlt, dass keine Ausgabe vorgezogen werde, [und] dass man sie bisweilen bis zu einem Jahr zurückhalten solle. Ich will daher die Meinungen anderer hören und nutze die Lehre von Jakobus: Jeder Mensch ist schnell beim Hören und langsam beim Sprechen. Und nicht unpassend glauben wir bisweilen, dass wir im Zeugnis des Philosophen einen Nachweis haben, den wir nicht haben, und dass wir etwas wissen, wenn wir irren.“

Alvarus Thomas argumentiert also zunächst, dass die besprochenen Notabilien von Richard Swineshead so evident wären, das man sie nicht beweisen müsse. Dann fällt ihm aber eine noch bessere Argumentation ein, von der er auch aussagt, dass sie sogar noch mehr der Wahrheit entspreche: Er möchte seine Beweise nicht darstellen, weil sie ihm noch nicht überzeugend erscheinen und er erst andere Meinungen abwarten möchte, bevor er die Argumentation veröffentlichen möchte. Dafür dass man dies beruhigt so sagen könne, dafür zieht Alvarus Thomas als Autoritäten Quintilian, Horaz und die doctrina Iacobi heran. Die Worte von Quintilian, auf die Alvarus Thomas anspielt, sind relativ leicht zu finden. Sie stehen in der Epistel des ersten Buchs der Institutio oratoria.168 Wie man unten sehen kann, handelt es sich um ein Kleinzitat, das leicht verändert – Quintilian schreibt im Imperfekt, Alvarus Thomas verwendet Präsens – beziehungsweise von Alvarus Thomas um den Ausdruck demonstrationes illorum an Stelle von Quintilians eos erweitert wurde. Ein Änderungsverbot oder Kennzeichnungsgebot, wie es im heutigen Sinne bei Zitaten angewendet wird, hat es in der Zeit von Alvarus Thomas nicht gegeben.

Quintilian: Nam ipse eos nondum opinabar satis maturuisse

Alvarus Thomas: quia nondum opinior – ut cum Quintiliano loquar – demonstrationes illorum satis maturuisse

Im Falle von Horaz wird von Alvarus Thomas allerdings die Quelle angegeben und zwar das Lehrgedicht Ars poetica, das eine der wichtigsten uns überlieferten literaturtheoretischen Schriften der Antike darstellt. Problematisch wird es, wenn man versucht, die genaue Stelle zu finden, auf die Alvarus Thomas verweist. Am Rand des Buches findet sich folgende Marginalie: Horatius, 8, ar. po. Mit ar. po. ist in Bezug zum Text eindeutig die Ars poetica gemeint. Die 8 verweist möglicherweise auf die achte Seite einer zeitgenössischen Ausgabe. Wenn man die entsprechende Stelle in der Ars poetica nachschlägt, findet den Hinweis an den Leser, dass man mit der Veröffentlichung unvollständiger Gedankengänge bis zu neun Jahren warten könne. Alvarus Thomas hatte also die Jahre gekürzt oder einen Text mit einer anderen Lesart verwendet. Weggelassen hat er auch die anschließende Bemerkung von Horaz, dass man das, was bis dahin nicht veröffentlicht wurde, besser vernichten solle.169 Bei dem Verweis auf die doctrina Jacobi handelt es sich um eine Anspielung auf den Brief des Jakobus im Neuen Testament, 1.19. Alles in allem noch nicht sehr ungewöhnlich. Verweise auf antiken Autoren und christliche Texte gehörten in der Zeit von Alvarus Thomas zum guten Stil rhetorisch gebildeter Universitätsangehöriger.

Aufhorchen lässt einen vielleicht in Zusammenhang mit der mündlichen Weitergabe von Beweisansätzen der Vergleich mit der Kabbala, einer mystischen und mündlich tradierten jüdischen Tradition, die eine unmittelbare Gotteserfahrung sucht. Es fällt auf, dass die Kabbala hier positiv oder zumindest nicht negativ konnotiert wird und es anscheinend im universitären Kontext nicht an sich anstößig erschien, als gebildeter Autor Bezug auf sie zu nehmen. Warum man die Erwähnung der Kabbala in Bezug zur Biographie von Alvarus Thomas setzen sollte, ist Folgendes: 1496 kam es in Portugal zur Vertreibung der Juden, die nicht zum Christentum konvertieren wollten. 1506 kam es zu schweren Progromen gegen Konvertiten und nicht emigrierte Juden.170 In dieser Zeitspanne ist auch Alvarus Thomas nach Paris gekommen. Um Alvarus Thomas selbst in einem christlich-jüdischen Umfeld zu verorten, dafür ist die eine Erwähnung der Kabbala allerdings nicht ausreichend, zumal sich Juden seit 1394 nicht mehr in Frankreich aufhalten durften. Auch offiziell konvertierte Juden oder Neuchristen, wie man sie auch nannte, die aus Portugal nach Frankreich emigrierten, eine sozial sehr geschlossene Gruppe bildeten und eine Praxis des Krypto-Judaismus mündlich pflegten – wie Esther Benbassa es ohne den Begriff Kabbala ausdrückt – durften sich nur in der Provinz Guyenne ansiedeln.171 Alvarus Thomas war als Portugiese in Paris sicher mit dieser Thematik und somit dem Begriff Kabbala vertraut.

Man könnte aber auch interpretieren, dass Alvarus Thomas ein weitergehendes Interesse für die Metaebenen der Naturphilosophie hatte und er beispielsweise das Werk De hominis dignitate des in der Kabbala versierten Giovanni Pico della Mirandola kannte, das 1496 erstmals gedruckt wurde. Darin wird die Naturphilosophie innerhalb eines siebenstufigen Erkenntnis- oder Bildungsmodells dessen dritter Stufe zugeordnet.172 Alvarus Thomas hätte auch Kontakt zu Leuten wie Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim oder Charles de Bouelles unterhalten können, die sich ebenfalls mit der Kabbala auskannten und sich nach 1500 wie auch Alvarus Thomas selbst für einige Zeit in Paris aufhielten. Charles de Bouelles war im Übrigen ein Schüler von Lefèvre d’Etaples, wie es möglicherweise auch Alvarus Thomas war.173 Dies wäre neben der Erwähnung von Clerval, dass Alvarus Thomas mit Lefèvre d’Etaples und Clichtoveus zusammenarbeitete, ein weiterer Hinweis dafür, dass Alvarus Thomas mehr dem humanistisch geprägten Umfeld als dem konservativen Umfeld in Paris zuzuordnen ist.174 Auch seine Kenntnis der antiken Literatur spräche dafür.

3.11 Das Verhältnis des Liber de triplici motu zu Euklids Definition der Primzahlen

Besonders deutlich wird der Einfluss des Buchdrucks im mathematischen Teil des Liber de triplici motu. Alvarus Thomas griff in diesen beiden Abschnitten auf zwei Werke zurück, die beide 1505 gedruckt wurden, die Elementa von Euklid und die Textsammlung Quaestio de modalibus von Bassanus Politus. Diese werden in den nächsten drei Abschnitten besprochen. Das erlaubt es zum einen, exemplarisch den Inhalt des Liber de triplici motu näher zu besprechen und zum anderen das Verhältnis von Alvarus Thomas zu den bei ihm angegebenen Autoritäten zu beleuchten, um die oben angesprochene Frage der Wissenschaftlichkeit von Alvarus Thomas näher zu untersuchen. Weiterhin werden Reflexionen zu der These einfließen, dass sich der Liber de triplici motu an fortgeschrittene Studenten oder deren Tutoren richtete.

Die ersten beiden Teile des Liber de triplici motu stellen eine Einführung in die damalige mathematische Proportionslehre dar. Die mathematische Proportionslehre ist zu unterscheiden von der Proportionslehre im architektonischen Bereich, die durch Vitruv geprägt worden ist, und von der damit verbundenen Proportionslehre im künstlerischen Bereich. Letztere wurde durch die Werke von Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci oder Heinrich Dürer geradezu zu einem Kennzeichen der Renaissance. Weit weniger bekannt sind diejenigen Persönlichkeiten, die sich in diesem Zeitraum der Mathematik widmeten. Für die Tradition der Oxforder Kalkulatoren ist die Proportionslehre in Zusammenhang mit der Quantifizierung von Qualitäten von entscheidender Bedeutung, und ihre Verwendung geht bei den Kalkulatoren weit über den Bereich der Bewegungslehre hinaus. Am Anfang des Liber calculationum von Richard Swineshead findet sich beispielsweise der Hinweis:

Incipit perutile ac ad omnes scientias applicabile calculationum aureum opus Suiseth Anglici doctoris subtilissimi.175

„Hier beginnt das goldene Werk zu den Berechnungen des sehr feinsinnigen, englischen Doktors Swineshead, das sehr nützlich und auf alle Wissenschaften anwendbar ist.“

Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass Alvarus Thomas eine Argumentation mit Proportionen nur innerhalb von Fragen zur Naturphilosophie anwendet. Allgemeingültige Empfehlungen für alle Bereiche der scientiae wie die von Richard Swineshead fehlen im Liber de triplici motu.

Die Grundlage für die Darstellung der Proportionslehre bei Alvarus Thomas bildeten einerseits antike Werke, die Elementa von Euklid und De institutione arithmetica von Boëthius, und andererseits die mittelalterlichen Elementa arithmetica von Jordanus de Nemore. Fortgeschrittenere Scholastiker lasen auch Schriften wie De proportionibus proportionum von Nicole Oresme.176 Zu den Elementen von Euklid benutzte man den Kommentar von Johannes Campanus. Diese Bücher waren in der Entstehungsphase des Liber de triplici motu bereits alle als Druck verfügbar. Es ist anzunehmen, dass sie nicht nur in der Bibliothek der universitas erhältlich waren, sondern dass die Collèges der Artistenfakultät zu dieser Zeit bereits eigene Bibliotheken besaßen. Alvarus Thomas verwendete – wie er selbst sagt – die lateinische Übersetzung der euklidischen Elementa von Zamberti, die aus dem Griechischem übersetzt wurde und 1505 in Venedig erschien.177 Eine gedruckte Ausgabe der De institutione arithmetica von Boëthius gab es seit 1488.178 Die Elementa Arithmeticae von Jordanus de Nemore wurden 1496 in Paris erstmals gedruckt.179 Herausgegeben wurde das Werk in gedruckter Form im Übrigen von Jacques Lefèvre d’Étaples, was aber nicht heißen soll, dass Alvarus Thomas nicht auch ohne seinen möglichen Lehrer auf die Elementa Arithmeticae gestoßen sein könnte. Zudem ist es auch möglich, dass Alvarus Thomas auch auf Manuskripte dieser beiden Elementa zurückgegriffen hat. Noch heute besitzt die Pariser Bibliothèque Nationale noch verhältnismäßig zahlreiche Manuskripte der De institutione arithmeticae von Boëthius.180

Letzteres Werk war im Übrigen in weiten Teilen eine Übersetzung der Introductio arithmetica von Nikomachos von Gerasa. Dieser wurde ebenfalls mehrfach im Liber de triplici motu erwähnt, aber nur einmal wurde im Liber de triplici motu auf eine spezifische Stelle seines Werks verwiesen. Die Introductio arithmetica ist damit einer der wenigen Texte, bei dem Alvarus Thomas tatsächlich auf ein Manuskript zurückgreifen musste. Der erste Druck in der Frühen Neuzeit erfolgte erst nach der Veröffentlichung des Liber de triplici motu 1538 in Paris (und zwar in griechischer Sprache).181 Neben dem griechischen Text gab aber es zu dieser Zeit auch Übersetzungen ins Arabische und Hebräische.182 Möglicherweise waren also mehrere dieser Manuskripte vor 1509 in Paris vorhanden. Das bedeutet aber nicht, dass Alvarus Thomas eine dieser Sprachen tatsächlich beherrschte. Dass Gelehrte Übersetzer zu Rate zogen, scheint nicht unüblich gewesen zu sein, zumal die Universität das Studium anderer Sprachen als Latein nicht vorschrieb. Es ist aber sehr wohl vorstellbar, dass Alvarus Thomas im Altgriechischen bewandert war, zumal wenn man annimmt, dass er in den humanistischen Kreisen um Lefèvre d’Étaples und Clichtoveus verkehrte.

Verweise auf die Elementa von Euklid sind im Liber de triplici motu allgegenwärtig.183 Allerdings wird die Geometrie für die Beweise innerhalb der Naturphilosophie von Alvarus Thomas im Gegensatz zum Rechnen mit Proportionen weniger herangezogen. Visualisierung ist für den Autoren des Liber de triplici motu nicht wichtig. Geometrische Figuren spielen im Text nur dann eine Rolle, wenn es sich um irrationale Verhältnisse handelt, also solchen, die mit natürlichen Zahlen nicht darstellbar sind. Das übliche Beispiel im Text ist das Verhältnis der Seite eines Quadrats zu der Diagonalen desselben Quadrats.184 Des weiteren werden geometrische Figuren bei Alvarus Thomas herangezogen, wenn es um die Aufteilung eines Körpers oder einer Strecke nach einem bestimmten Verhältnis geht sowie bei der Kreisbewegung. Die Geometrie spielt insgesamt gesehen im Liber de triplici motu also eine fast untergeordnete Rolle. Wichtig dagegen ist die arithmetische und die algebraische Verwendung von Proportionen. Letztendlich wird zudem das oft in der Forschungsliteratur genannte, geometrische Verfahren von Nicole Oresme zur Darstellung von Verhältnissen nicht verwendet.185 Es mag sein, dass es für inceptiones oder disputationes nicht anwendbar war, weil die disputationes ohne Veranschaulichungen geführt wurden.

Alvarus Thomas definierte eine proportio als die Beziehung mindestens zweier Zahlen oder Quantitäten zueinander.186 Euklid definierte dagegen den Term selbst nicht, also was genau ein Verhältnis zweier Größen ist, sondern sagte nur, dass entweder zwei Verhältnisse gleich sind, oder ein Verhältnis größer als das andere ist. Auffällig in Hinsicht auf die euklidische Tradition ist weiterhin, dass Alvarus Thomas einen wichtigen euklidischen Term in einem anderen Zusammenhang verwandte, und zwar den der Primzahlen. Üblicherweise definiert man die Primzahl nach Euklid als natürliche Zahl mit genau zwei natürlichen Zahlen als Teiler, nämlich der Zahl 1 und sich selbst. Zamberti übersetzt die euklidische Definition mit: Primus numerus est, quem unitas sola metitur.187 Alvarus Thomas dagegen nutzt den Term Primzahl als solchen gar nicht, als numeri primi werden die kleinsten Zahlen einer species proportionis rationalis definiert. Gemeint sind die Zahlen eines Verhältnisses, die im heutigen Sinne als Bruch ausgedrückt vollständig gekürzt sind, zum Beispiel haben 4 und 2 ein doppeltes Verhältnis zueinander – die Erstzahlen des Verhältnisses 4 : 2 sind nach Alvarus Thomas Definition die Zahlen 2 und 1. Weiterhin zeigt Alvarus Thomas auf, dass eine dieser Erstzahlen eines Verhältnisses ungerade sein muss.188

Der Term primi numeri proportionis rationalis findet sich in dieser Verwendung auch nicht in der De institutione arithmetica von Boëthius. Die Erstzahlen eines Verhältnisses – um sie von Primzahlen zu unterscheiden – sind eine mittelalterliche Erfindung, auf die der Autor des Liber de triplici motu hier zurückgreift. Sie sind im Übrigen ein gutes Beispiel für die Wissenschaftlichkeit des Autors, weil sie zeigen, dass er hier eine Entwicklung zur Verbesserung der Proportionslehre beachtet, die über die antiken Grundlagen hinausgehen. Alvarus Thomas gibt ausgerechnet an dieser Stelle leider keine Autorität an, von wem genau er die Definition übernommen hat. Möglicherweise übernahm Alvarus Thomas ihn aus dem an anderer Stelle zitierten Werk De proportionibus proportionum von Oresme. Dort nutzte Oresme den Term um die Kommensurabilität von Verhältnissen näher zu erklären.189 Dieses Werk wurde 1505 in Venedig erstmals gedruckt, stand also in dieser Form Alvarus Thomas zur Verfügung.190 Es findet sich in der oben erwähnten Textsammlung zur Proportionslehre Quaestio de modalibus, in der auch Bassanus Politus Tractatus proportionum introductorius ad calculationes Suiset zu finden ist, den Alvarus Thomas ebenfalls bespricht.191 Aus diesen Literaturangaben bei Alvarus Thomas kann man im Übrigen erschließen, dass zumindest die beiden mathematischen Teile des Liber de triplici motu nach 1505 entstanden sind.

3.12 Der Einfluss zeitgenössischer wissenschaftlicher Literatur auf den Liber de triplici motu: Die Auseinandersetzung mit Bassanus Politus um die Kommensurabilität rationaler Proportionalitäten

Die Lebendaten von Bassanus Politus sind unbekannt. Sein Tractatus proportionum introductorius ad calculationes Suiset war höchstwahrscheinlich wie auch der Liber de triplici motu an Studierende und deren regentes gerichtet, die sich mit der Kalkulatorentradition auseinandersetzten. Alvarus Thomas wollte zu diesem Werk eine Alternative bieten. Das würde die in dieser Form singuläre, rhetorische Feindseligkeit von Alvarus Thomas gegenüber Bassanus Politus erklären. Sie konkurrierten um denselben Leserkreis. William Wallace beschrieb den Traktat von Bassanus als „a work that Thomaz effectively castigated as worthless“.192 Eine Antwort von Bassanus Politus ist nicht bekannt. Alvarus Thomas warf ihm besonders hinsichtlich seiner mathematischen Fähigkeiten Inkompetenz vor.

Einleitend in die Auseinandersetzung mit der These von Politus schrieb Alvarus Thomas noch relativ harmlos und im Sinne einer reformatio ad melius:

Consueverunt veteres et signanter peripathetici philosophantes amputare atque resecare contrarias opinationes et deinde veras interserere. Ideo Bassani Politi opinionem in materia proportionalitatum ceteris mathematicis adversam praesenti duximus expugnandam.193

„Die Alten und besonders die, die peripathetisch philosophieren, pflegten widersprüchliche Meinungen zu vermindern und wegzuschneiden und daraufhin die wahren hineinzusetzen. Daher erachtete ich es, dass ich gegenwärtig die Meinung des Bassanus Politus, die in dem Stoff über Proportionalitäten den übrigen Mathematikern entgegensteht, bekämpfen muss.“

Doch worum handelt es sich genau in dieser Diskussion? Der größte Teil des mathematischen Textes des Liber de triplici motu besteht aus der Untersuchung der Eigenschaften bestimmter proportiones oder proportionalitates. Das Kapitel 2.5 des Liber de triplici motu, in dem Alvarus Thomas das Werk von Bassanus Politus unter die Lupe nimmt, behandelt eine Frage zur Kommensurabilität von proportiones. In der Mathematik heißen zwei Zahlenwerte a und b kommensurabel, wenn sie ganzzahlige Vielfache einer geeigneten dritten Zahl c sind, also einen gemeinsamen Teiler besitzen. Bassanus Politus kam in seinem Buch zu folgendem Schluss: Jede proportionalitas ist kommensurabel zu einer anderen proportionalitas. Dies baut auf seiner Annahme auf, dass aus den Verhältnissen der denominationes der proportiones die Kommensurabilität der Verhältnisse abgelesen werden könne beziehungsweise dass das Verhältnis der proportiones dem Verhältnis der denominationes entspräche. Die denominatio ist die Zahl oder der mathematische Bruch, der ein rationales Verhältnis bestimmt, zum Beipiel die 2 ist die denominatio bei der proportio 2 : 1 und die 4 ist die denominatio bei 16 : 4 und die denominatio von 5 : 2 ist 2 1/2. Alvarus Thomas argumentierte nun, dass diese These gegen die mathematischen Prinzipien im Sinne von Euklid verstoße.194 Diese Reduktion eines Verhältnisses auf seine denominatio hält Alvarus Thomas für unzulässig. Um dies zu beweisen, geht er folgendermaßen vor:

Zuerst werden in der Argumentation von Alvarus Thomas suppositiones aufgeführt, von denen die erste, die zweite, die dritte und die sechste suppositio für seine These wichtig sind.

1. suppositio lautet: Quodlibet habens subduplum est duplum ad suam medietatem, et si ipsum est duplum, ipsum continet suam medietatem bis adaequate.195

„Was auch immer durch 2 geteilt ist, ist das Doppelte in Bezug auf seine Hälfte. Und wenn es selbst das Doppelte ist, beinhaltet es selbst seine Hälfte genau zweimal.“

2. suppositio: Omne duplum ad aliquod continet ipsum vel aequale ei bis tantum.196

„Jedes Doppelte von etwas beinhaltet sich selbst oder etwas Gleiches nur zweimal.“

3. suppositio: Si aliquid efficitur in duplo minus, ipsum perdit adaequate medietatem sui.197

„Wenn irgendwas um das Doppelte kleiner wird, verliert es selbst genau seine Hälfte.“198

6. suppositio: omne, quod efficitur subduplum, ad id, quod erat antea, perdit medietatem sui, et id, quod remanet, est tantum, quantum est id, quod perdidit, quam perdidit aliam medietatem, et cuiuslibet quanti medietates sunt aequales.

„Alles, was ein durch 2 Geteiltes wird, verliert in Bezug zu dem, was es vorher war, seine Hälfte. Und das, was bleibt, ist so viel, wie es das ist, was es verloren hat, weil es ja die andere Hälfte verloren hat, und wie [auch] die Hälften eines beliebig großen [Verhältnisses] gleich sind.“

Alvarus Thomas behauptet nun, dass es in seiner Auseinandersetzung mit Bassanus Politus um dessen These gehe, in der es hieße, „dass eine beliebige proportionale und rationale [Proportionalität] zu einer beliebigen anderen [Proportionalität] kommensurabel ist.“199 Allerdings muss man an dieser Stelle sagen, dass es sich um eine Interpretation von Alvarus Thomas handelt, denn im ganzen Tractatus proportionum introductorius ad calculationes Suiset von Bassanus Politus findet sich das Wort kommensurabel nicht. Dann stellt Alvarus Thomas die conclusio dar, die Bassanus Politus in seinen Traktat aufstellt. Diese laute folgendermaßen:

Proportionum proportio est earum denominationum proportio, ut quadrupla est dupla ad duplam, quia inter earum denominationes sive numeros, a quibus denominantur, est proportio dupla, a binario enim dupla, et a quaternario quadrupla denominatur.200

„Das Verhältnis der Verhältnisse ist das Verhältnis ihrer denominationes, wie ein vierfaches [Verhältnis] das Doppelte zu einem doppelten [Verhältnis] ist, weil zwischen ihren denominationes oder Zahlen, von denen sie bestimmt werden, ein doppeltes Verhältnis ist. Ein doppeltes [Verhältnis] wird von der Zwei und ein vierfaches [Verhältnis] von der Vier bestimmt.“

Alvarus Thomas zeigt im Folgenden auf, was das bedeuten würde. Dabei wird seine Sprache zunehmend polemischer: Laut Bassanus Politus wäre nämlich ein achtfaches Verhältnis von 8 zu 1 das Doppelte zu einem vierfachen Verhältnis von 4 zu 1. Das hieße für Bassanus, dass die proportionalitas 8/1 : 4/1 einem doppelten Verhältnis der denominatores 8 und 4 entspreche. Denn die denominatores des achtfachen und des vierfachen Verhältnisses, 8 und 4, haben ein doppeltes Verhältnis. Daraus würde folgen, dass das Vierfache die Hälfte des Achtfachen wäre und das Achtfache das Vierfache genau zweimal beinhalten würde. Alvarus Thomas argumentiert zuerst dagegen, weil das bedeuten würde: Wenn man das Verhältnis 4 : 1 mit einem anderen Verhältnis von 4 : 1 duplizieren würde – bei Alvarus Thomas bedeutet dies 4/1 x 4/1 – dann entspräche dies 8/1 und wäre ungleich 16/1.201 Es wird also deutlich, dass bei Alvarus Thomas und Bassanus Politus mit unterschiedlichen Umkehroperationen der Grundrechenarten gearbeitet wird. Zugespitzt wirft er Bassanus Politus mit Verweis auf Aristoteles vor, nicht wissenschaftlich, nämlich nicht mit Definitionen, zu arbeiten.202 Es heißt nach der Darstellung der Fehler von Bassanus Politus:

Sed omnia haec argumenta facile – quamvis proterve et absque ratione – rescindit Bassanus negando illas petitiones et definitiones eas dumtaxat ad numeros sive quantitates continuas restringendo sive limitando. Sed profecto et diminute loquitur et contra rationem, diminute quidem et insufficienter, quia non assignat definitionem proportion[i]s duplae, quadruplae aut alterius sufficienter, quae cuilibet contento sub definito conveniat, et contra rationem, quam sicut ipse astruxit illas definitiones duplae, quadruplae et cetera convenire quantitatibus dumtaxat et numeris.203

„Aber alle diese Darlegungen hebt Bassanus leicht – aber schamlos und fern von Vernunft – auf, indem er jene petitiones und definitiones verneint und sie auf Zahlen oder stetige Quantitäten einengt und begrenzt. Aber er spricht in der Tat auch wirr und entgegen der Vernunft, wirr und unzureichend, weil er unzureichenderweise keine definitio eines doppelten Verhältnisses, eines vierfachen [Verhältnisses] oder eines anderen [Verhältnisses in seinem Buch] zuweist, die einem beliebigen Inhalt für eine definitio entspricht. Und [er handelt] entgegen der Vernunft, weil er zum Beispiel darauf aufbaut, dass die definitiones eines doppelten [Verhältnisses], eines vierfachen [Verhältnisses] und so weiter den Quantitäten und genau genommen auch den Zahlen entsprechen.“

Und weiter:

[...] pari protervia quilibet posset defensare atque asseverare illas definitiones dumtaxat convenire numeris compositis ex unitatibus indivisibilibus, puta intelligentiarum aut punctorum, et nullis aliis.204

„Mit gleicher Schamlosigkeit könnte es jeder Beliebige verteidigen und zuversichtlich behaupten, dass jene definitiones genau genommen den Zahlen entsprechen, die aus unteilbaren Einheiten zusammengesetzt sind, nämlich denen der Ideen und denen der Punkte und keinen anderen.“

Die Argumentation von Alvarus Thomas basiert im Grunde darauf, dass die Thesen von Bassanus Politus den Grundlagen und Definitionen der Mathematik widerspreche. Dies wird in einem Verweis auf die zehnte definitio im fünften Buch der Elementa von Euklid und die fünfte definitio im zweiten Buch der Elementa von Jordanus de Nemore deutlich gemacht:

[...] capta proportione sexdecupla inter 16 et 1 ibi reperiuntur 3 termini continuo proportionabiles | proportione quadrupla, utpote 16, 4, 1. Igitur extremi ad extremum, puta 16 ad 1, est dupla proportio ad proportionem primi ad secundum, puta 16 ad 4, ut patet ex decima definitione quinti elementorum Euclidis expresse et ex quinta definitione secundi elementorum Iordani.205

„Wenn man ein sechszehnfaches Verhältnis zwischen 16 und 1 erfasst, findet man dort auch 3 Terme, die stetig proportionabel nach einem vierfachen Verhältnis sind wie 16, 4 und 1. Daher ist das [Verhältnis] des einen Extremum zum [anderen] Extremum, nämlich von 16 zu 1, ein doppeltes Verhältnis in Bezug auf das Verhältnis des ersten [Terms] zum zweiten [Term], nämlich von 16 zu 4, wie es ausdrücklich erklärt ist durch die zehnte definitio im fünften [Buch der Elementa] von Euklid und die fünfte definitio im zweiten [Buch der Elementa] von Jordanus“

Das bedeutet, dass Bassanus Politus an der Stelle, an der Bassanus Politus multiplizierte, also 8/1 = 4/1 x 2/1, er eigentlich hätte quadrieren müssen, also 16/1 = 4/1 x 4/1. Etwas später unterstellte Alvarus Thomas, dass Bassanus Politus sogar das Werk von Swineshead nicht gründlich gelesen habe.206 Die Argumentation von Alvarus Thomas erweist sich also als ein Beispiel dafür, wie eine übergeordnete Autorität zur Widerlegung der Thesen eines Gegners benutzt werden können.

Die weiteren Ausführungen zu Bassanus Politus führen zu einem Argument, in dem die Konkurrenzsituation besonders deutlich wird, wer also die bessere Einleitung zum Liber calculationum von Swineshead schreibt. Es heißt:

Quarto et ad opinantem arguitur, quam ut ipse profitetur in sui operis ex ordio suarum proportionum tractatus introductorius est ad Suisethicas calculationes, sed ipse calculator Suiseth longe aliter sentit et plurimum ab eo discrepat in materia de proportione proportionum, ut ex quam plurimis locis eius percipere possumus, igitur nec calculatoris mentem intellexit nec eius tractatus ad eum intelligendum introducit, immo potius extraducit.207

„Viertens: Auch wird gegen ihn, der die These aufstellt, argumentiert, weil er, [Bassanus Politus], selbst am Anfang seines Werks verkündet, dass es ein einführender Traktat seiner Verhältnisse in Bezug auf die Berechnungen Swinesheads sei. Aber selbst der Kalkulator Swineshead nimmt es bei weitem anders wahr. Und am meisten weicht er von ihm beim Thema über das Verhältnis der Verhältnisse ab, wie wir an sehr vielen Orten bei ihm erkennen können. Daher verstand er weder die Denkart des Kalkulators, noch leitet er dessen Traktat ein, um [Swineshead] zu verstehen. Vielmehr leitet er, [Bassanus Politus], eher [davon] weg.“

Am Ende der Darstellung seiner Argumente kehrt Alvarus Thomas zum Ursprung der Frage zurück und schlussfolgert als conclusio responsiva:

Et sic relinquo positionem eius confutatam et explosam, quae tamen proterve defensari potest, sed non consequenter ad mathemathica principia, ut dictum est. Ex his igitur abunde apparet, quod proportio proportionum non est sicut proportio denominationum.208

„Und so lasse ich seine Stellungnahme als widerlegt und auseinander gestoben zurück, obwohl sie schamlos verteidigt werden kann, aber nicht folgerichtig im Sinne der mathematischen principia, wie gesagt wurde. Daraus ist daher reichlich ersichtlich, dass das Verhältnis der Verhältnisse nicht wie das Verhältnis der denominationes ist.“

Die quaestio endet so versteckt polemisch, wie sie angefangen hat. Erneut wird der Gedanke der Schamlosigkeit der Argumentation von Bassanus Politus aufgegriffen und in der Tat scheint die Argumentation von Alvarus Thomas erfolgt gehabt zu haben. Der bis dahin unbekannte Bassanus Politus geriet vollkommen in die Vergessenheit und tauchte erst wieder in der Geschichtsschreibung bei Pierre Duhem auf, der ihn aber auch nur in Relation zu Alvarus Thomas betrachtet.209

3.13 Die Auseinandersetzung von Alvarus Thomas mit Nikolaus Oresme

Nikolaus Oresme lebte in der Mitte des 14. Jahrhunderts (vor 1330 – 1382) und setzte sich wie Alvarus Thomas später im frühen 16. Jahrhundert mit der Kalkulatorentradition auseinander. Allerdings ist das Œuvre von Oresme weitaus umfangreicher. Universalgelehrte wie Oresme sind kennzeichnend für die Wissenschaftsgeschichte Westeuropas. Oresme war eigentlich Theologe, Schüler von Johannes Buridan, er war bekannt als Prinzenerzieher von Karl V. von Frankreich und ab 1377 als Bischof von Lisieux, aber in der Wissenschaft eher als Vertreter des Nominalismus.210

In der Geschichte der Naturwissenschaften wird er gerühmt für seine geometrische Veranschaulichung der Theorie der Kalkulatoren von der intensio und remissio qualitatum in seinem Buch Tractatus de configurationibus qualitatum et motuum.211 Daher gilt er als der Erstbeschreiber einer Theorie des Diagramms. Interessanterweise ist es Thomas Harriot, der Zeitgenosse Galileos, der die oresmeschen Diagramme auf Auszüge von Alvarus Thomas anwendet.212 Alvarus Thomas selbst vernachlässigte solche Veranschaulichungen nach Art von Oresme. Die Verwendung von Diagrammen im Liber de triplici motu ist im Vergleich mit anderen mathematischen Schriften seiner Zeit marginal. Beispielsweise ist die Ausgabe von Bradwardines Arithmetica et Geometria aus dem Jahr 1503 voller gedruckter Diagramme. Allerdings bedeutet das nicht, dass Diagramme generell in zeitgenössischen mathematischen Werken verwendet wurden. Besonders die Quaestionenliteratur meidet Diagramme, wahrscheinlich weil man Platz sparen wollte und das Wort wichtiger als das Bild war. Der Grund liegt wohl auch darin, dass Quaestionenliteratur in erster Linie für den Gebrauch fortgeschrittener Studenten gedacht war, denen die Konzepte der Intensität und Ausdehnung von Qualitäten schon bekannt waren. Beide Begriffe werden im Liber de triplici motu im Übrigen nicht definiert.

Möglicherweise kennt Alvarus Thomas den Traktat von Oresme auch nicht, denn Oresmes Kritik an der Verwendung des Begriffs latitudo – die ebenfalls im Tractatus de configurationibus zu finden ist – hat keinen Einfluss auf die Verwendung des Terms im Liber de triplici motu. Oresme unterschied zwischen den Qualitäten verschiedener Dimensionen und schlug vor, die Intensität einer niedriger-dimensionalen Qualität als longitudo und die Intensität einer höher-dimensionalen Qualität als latitudo oder altitudo zu bezeichnen. Die Begriffe longitudo und altitudo tauchen im Liber de triplici motu in dieser Bedeutung nicht auf. Jegliche Quantität einer Intensität oder Ausdehnung wird unterschiedslos mit der latitudo in Verbindung gebracht. Andererseits kann man auch argumentieren, dass die Unterscheidung in niedriger und höher dimensionale Qualitäten an der damaligen Pariser Universität nicht von den Studenten gefordert und solche Feinheiten erst später von einem Akademiker erwartet wurden.

Alvarus Thomas beschäftigte vielmehr die mathematische Schrift De proportionibus proportionum von Oresme, die zwischen 1350 und 1361 niedergeschrieben worden ist. Sie findet sich in derselben Textsammlung wie der Traktat von Bassanus Politus. Das macht es plausibel anzunehmen, dass Alvarus Thomas genau diese Ausgabe von Oresmes Traktat benutzte. Das Werk beschäftigt sich unter anderem mit unendlichen Reihen und dem Rechnen mit Exponenten.213 Diese Rechenverfahren spielen in der damaligen Naturphilosophie insofern eine Rolle, dass Oresme die okhamsche Auffassung vertrat, dass die Welt zu jeder Zeit einzigartig und neu geschaffen wird, also (bis zum Jüngsten Gericht) unendlich oft. Dabei tendieren alle species während dieser creatio continua jeweils zu ihrer Perfektion der forma substantialis. Inhaltlich wichtig war dies für Alvarus Thomas besonders für das Kapitel 3.4.2 zur intensio et remissio formarum.

In der siebenten conclusio des Kapitel 2.6 des Liber de triplici motu wird nun ein Aspekt von Oresme bei Alvarus Thomas intensiv besprochen, der ein klassisches Beispiel der mittelalterlichen Maxime der Wissenschaft beziehungsweise der Wissenschaftlichkeit, omnia ad meliora, in der Form einer quaestio darstellt. Der Ansatz geht immer von Aussagen von Personen aus, die für ihr jeweiliges Gebiet eine Autorität darstellen. Niklas Luhmann fasst den Ansatz an Sätzen so zusammen: „Die vormoderne Wissenschaft setzt bei diesem tagtäglichen Bedarf für Wissen an und stellt sich die Aufgabe, das Wissen zu verbessern und vor allem – solange der Buchdruck noch fehlt – es zu erhalten und zu tradieren.“214

Das Kapitel behandelt die Eigenschaften kommensurabler Verhältnisse. Zwei Verhältnisse sind kommensurabel – wie schon beschrieben – wenn sie ganzzahlige Vielfache eines dritten Verhältnisses sind. Das ist im Grunde die Definition von Kommensurabilität, wie sie bei Euklid am Anfang des 10. Buch der Elemente zu finden ist.215 Alvarus Thomas möchte die Ausführungen von Oresme über die Eigenschaften von kommensurablen Größen im Gegensatz zu der Art und Weise, wie zuvor gegen Bassanus Politus argumentiert wurde, nicht widerlegen, sondern Oresme als Autorität besser verständlich machen und in einen größeren Kontext setzen. Dabei formuliert Alvarus Thomas seine Ausführungen in einem Streitgespräch zwischen ihm selbst, der im Sinne Oresmes diskutiert, und ihm als opponens. Es heißt bei Alvarus Thomas:

[...] omnes proportiones multiplices, quarum denominationes sunt de numero numerorum, sunt inter se commensurabiles. Hanc conclusionem ponit Nicolaus Horen sub forma dicta, sed pono eam sub alia forma clariori. Omnes proportiones multiplices procedentes semper secundum den[o]minationem primae illarum sunt commensurabiles, ita quod si prima illarum sit dupla, secunda immediate sequens sit etiam dupla et sic consequenter, tales sunt commensurabiles. Et ut paucis absolvam, omnes proportiones, quarum quaelibet immediate sequentes sunt eiusdem denominationis cum prima, sunt commensurabiles.216

„Alle vielfachen Verhältnisse, deren denominationes von einer Zahl der Zahlen sind, sind untereinander kommensurabel. Diesen Schluss legt Nikolaus Oresme in der genannten Form dar, aber ich lege ihn in einer ersichtlicheren Form dar. Alle vielfachen Verhältnisse, die immer nach der denominatio der ersten von ihnen voranschreiten, sind kommensurabel. Wenn daher das erste [Verhältnis] von ihnen doppelt ist, dann ist das zweite [Verhältnis], das unmittelbar folgt, auch ein doppeltes Verhältnis. So sind folgerichtig solche [Verhältnisse zueinander] kommensurabel. Und damit ich mich von den wenigen [Beispielen] löse, gelten alle Verhältnisse als kommensurabel, von denen irgendwelche unmittelbar folgende [Verhältnisse] mit dem ersten [Verhältnis] dieselbe denominatio haben.“

Als Verhältnisse, die unmittelbar aufeinander folgen und die dieselbe denominatio haben, versteht Alvarus Thomas beispielsweise folgende: 1 zu 2 und 2 zu 4, der wiederum 4 zu 8 folgt. Es handelt sich um geometrische Reihen. Im Unterschied zur heutigen Auffassung dieses Begriffs fehlt aber noch das Aufstellen einer Summenformel beziehungsweise überhaupt eine Abstraktion mit Variablen.217 Es wird immer mit Beispielen argumentiert. Man siehe auf das Bild, wie Alvarus Thomas es mit den denominatores 2, 3 und 4 darstellt:

Abb. 3.1: Alvarus Thomas, Liber de triplici motu, S. 40.

Abb. 3.1: Alvarus Thomas, Liber de triplici motu, S. 40.

Um die folgende Argumentation verständlich zu machen, muss kurz auf die Einteilung der mathematischen Verhältnisse, der species proportionum rationalium, eingegangen werden. Es gibt drei einfache und zwei zusammengesetzte proportiones. Die einfachen genera proportionum rationalium sind das vielfache Verhältnis wie 4 zu 1 oder 8 zu 4, die proportio superparticularis, bei der die größere Zahl die kleinere genau einmal beinhaltet und einen irgendwievielten Teil von ihr wie 4 zu 3 oder 5 zu 4, und die proportio suprapartiens, bei der die größere Zahl die kleinere Zahl genau einmal beinhaltet und mehrere irgendwievielte Teile von ihr wie 5 zu 3 oder 7 zu 4. Zusammengesetzte species proportionum rationalium sind die proportio multiplex superpaticularis wie 9 zu 4 oder 7 zu 3 und die proportio multiplex suprapartiens wie 11 zu 4 oder 12 zu 5. Jedes dieser genera proportionum rationalium umfasst unendlich viele species, d.h. beim genus proportionum multiplicium sind einzelne species das doppelte Verhältnis, das dreifache Verhältnis und so weiter bis ins Unendliche. Diese Aufteilung kann weiter untergliedert werden: Es gibt beispielsweise unendliche species proportionis duplae, nämlich 2 zu 1, 4 zu 2, 6 zu 3 etc. Wichtig ist dies deshalb, weil Oresme auf vielfache Verhältnisse eingeht, Alvarus Thomas aber die vielfachen Verhältnisse noch einmal unterteilt in zusammengesetzte vielfache Verhältnisse und vielfache Erstzahlenverhältnisse.218

Die Argumentation von Alvarus Thomas erfolgt in drei Einwänden gegen Oresme, die aufeinander aufbauen und gegen die Alvarus Thomas wiederum teilweise selbst im Sinne von Oresme antwortet. Hierin folgt Alvarus Thomas der Methodik einer quaestio. Den Einwänden folgt die Darstellung eines eigenen Versuchs, Eigenschaften von kommensurablen Verhältnissen zu formulieren. Angezweifelt wird zuerst in der dubitatio, dass die probationes von Oresme, also seine Beweise, zu unwirksam seien. Den folgenden ersten Einwand, dass bei Oresme immer die Eins das minimale Extremum eines beliebigen vielfachen Verhältnisses ist, entkräftet Alvarus Thomas.219 Es heißt:

Sed diceret Nicolaus Horen et bene, quod illa suppositio, et si non sit vera distribuendo pro singulis generum, est tamen vera distribuendo pro generibus singulorum, et in tali sensu capitur, ut patet intuenti.220

„Aber Nikolaus Oresme würde auch gültig [begründet] sagen, dass jene suppositio – auch wenn sie nicht wahr ist, indem man sie auf die einzelnen der Klassen bezieht – dennoch wahr ist, indem man sie auf die Klassen der einzelnen [Verhältnisse] bezieht, und man erfasse es in einem solchen Sinn, wie es dem Einblickenden offensichtlich ist.“

Gemeint ist, dass alle doppelten oder dreifachen Verhältnisse jeweils untereinander kommensurabel seien, aber nicht alle beliebigen vielfachen Verhältnisse wie 2 zu 1 und 3 zu 1 zueinander kommensurabel seien. Alvarus Thomas entdeckte bei Oresme eine Generalisierung zu entdecken und schränkt die Aussage ein. Er greift diesen Gedanken im zweiten Argument wieder auf. Es heißt:

Sed contra, quia in tali sensu capiendo eam non concluditur propositum, sed solum concluditur, quod de qualibet specie proportionis multiplicis aliquod individuum eiusdem speciei non est commensurabile alicui superparticulari aut suprapartienti et cetera.221

„Aber dagegen [kann man sagen], dass, indem man sie in einem solchen Sinn erfasst, nicht das Vorgeschlagene daraus geschlossen wird, sondern allein daraus geschlossen wird, dass von einer beliebigen species eines vielfachen Verhältnisses irgendein unteilbares [Verhältnis] derselben species nicht kommensurabel zu irgendeinem superpartikularen oder suprapartienten [Verhältnis] und so weiter ist.“

Alvarus Thomas wirft Oresme also vor, dass seine Aussagen nur für die Erstzahlen von vielfachen Verhältnissen gelten, weil er ja immer mit solchen Verhältnissen argumentiere. Aber auch diesmal entkräftete Alvarus Thomas den Einwand im Sinne von Oresme:

Sed diceret Nicolaus, quod satis ei est habere, quod una proportio dupla non est commensurabilis alicui proportioni non multiplici rationali, quoniam cum omnes duplae sint aequales.222

„Aber Nikolaus würde sagen, dass es ihm genug ist, [die Stellungnahme] zu halten, dass ein doppeltes Verhältnis nicht kommensurabel zu irgendeinem nicht rational vielfachen Verhältnis [ist], weil ja alle doppelten gleich sind.“

Seinen dritten Einwand entkräftet allerdings Alvarus Thomas nicht. Es heißt:

Sed contra diceret protervus, quia dabiles sunt duae proportiones aequales, et tamen aliqua proportio est pars unius, et nec illa nec aliqua aequalis ei est pars alterius, [...] et per consequens pari ratione posset dici, quod, quamvis omnes duplae sint aequales, aliquid tamen est pars aliquota unius, quod non est pars aliquota alterius nec tantum, quemadmodum aliqua proportio est pars alicuius proportionis duplae, et tamen nec illa nec ei aequalia est pars alterius duplae.223

„Aber dagegen könnte man frecherweise sagen, dass [mitunter] zwei gegebene Verhältnisse gleich sind, und dennoch ein Verhältnis Teil des einen ist und weder jenes eine [Verhältnis] noch irgendein ihm gleiches [Verhältnis] Teil des anderen [Verhältnisses] ist. [...] Und folgerichtig könnte mit dem gleichem Argument gesagt werden, dass – obwohl alle doppelten [Verhältnisse] gleich sind – dennoch irgendetwas ein irgendwievielter Teil des einen [Verhältnisses] ist, was nicht ein irgendwievielter Teil des anderen [Verhältnisses] ist, und auch nicht soviel [ist], wie irgendein Verhältnis ein Teil irgendeines doppelten Verhältnisses ist. Und dennoch ist weder jenes noch ein ihm gleiches [Verhältnis] ein Teil des anderen doppelten [Verhältnisses].“

Dafür gibt er das Beispiel 2 zu 1 und 8 zu 4 an. Er greift den Gedanken auf, dass es zusammengesetzte vielfache Verhältnisse gibt, und diese sich in ihren Eigenschaften von den vielfachen Erstzahlenverhältnissen unterscheiden. 2 zu 1 ist ein Erstzahlenverhältnis. 8 zu 4 ist aber keines. Denn das Verhältnis 8 zu 4 kann man zerlegen in 8/6 x 6/4. 8 zu 6 und 6 zu 4 sind wiederum superpartikulare Verhältnisse. Das Beispiel zeigt, dass demnach ein vielfaches Verhältnis kommensurabel zu einem superpartikularen Verhältnis sein kann. Durch dieses Gegenbeispiel ist es nicht mehr möglich zu akzeptieren, dass die allgemein gültige Aussage zu vielfachen Verhältnissen von Oresme aus Erstzahlen abgeleitet wurde.

Im Weiteren versucht Alvarus Thomas diese Erkenntnis auf die anderen species der Verhältnisse auszudehnen und Schlussfolgerungen für die Methode der Quantifizierung zu ziehen. Es heißt:

Item esto, quod inter primos numeros proportionis superparticularis non mediat aliquis numerus, mediat tamen inter non primos, et diceret protervus, quod proportio superparticularis inter non primos numeros componitur ex aliquot rationalibus, quibus est commensurabilis, et tamen ipsa proportio inter primos numeros constituta non componitur ex talibus.224

„Ebenso gelte es, dass zwischen den Erstzahlen eines superpartikularen Verhältnisses keine Zahl liegt, und dennoch liegt eine [Zahl] zwischen den Nichterstzahlen. Und frecherweise könnte einer sagen, dass ein superpartikulares Verhältnis, das nicht zwischen den Erstzahlen liegt, aus irgendwie vielen rationalen [Verhältnissen] zusammengesetzt wird, zu denen es kommensurabel ist, und dass dennoch dasselbe Verhältnis, wenn es zwischen den Erstzahlen aufgestellt worden ist, nicht aus solchen zusammengesetzt ist.“

Und weiter:

Nec valet dicere, quod non est imaginabile, quod aliqua duo sint aequalia, et tamen aliquid sit pars aliquota unius, et nullum tantum sit pars aliquota alterius, quoniam diceret protervus illud non esse imaginabile in quantitatibus continuis, sed bene esse imaginabile in proportionibus, quoniam impossibile est dare duas quantitates continuas aequales, et quod aliquid sit pars unius sive aliquota sive non, et quod nullum tantum sit pars alterius, et tamen illud datur in proportionibus. Duarum enim intelligentiarum ad unam intelligentiam est proportio dupla, quae non componitur ex sesquialtera et sesquitertia nec cum fractione nec sine, et tamen proportio dupla ei aequalis 4 ad duo componitur ex sesquialtera et sesquitertia, ut patet.225

„Aber es gilt nicht zu sagen, dass es nicht vorstellbar ist, dass es irgendwelche zwei gleiche [Verhältnisse] gibt, und dass dennoch irgendetwas der irgendwievielte Teil des einen [Verhältnisses] ist, aber nicht der irgendwievielte Teil des anderen [Verhältnisses] ist. Denn man könnte ja frecherweise sagen, dass dies bei stetigen Quantitäten nicht vorstellbar ist. Aber es ist gut vorstellbar bei Verhältnissen, weil es ja unmöglich ist, zwei gleiche stetige Quantitäten anzugeben, und dass irgendetwas ein Teil der einen [Quantität] ist – sei es ein irgendwieviel- ter Teil oder keiner – und das kein bisschen ein Teil der anderen [Quantität] ist. Und dennoch ist das gegeben bei den Verhältnissen. Denn das Verhältnis zweier intelligentiae zu einer intelligentia ist ein doppeltes Verhältnis, das nicht aus einem anderthalbfachen [Verhältnis] und einem vierdrittelfachen [Verhältnis] zusammengesetzt wird, weder mit noch ohne Bruch. Und dennoch wird ein doppeltes Verhältnis, das zum ihm gleich und von 4 zu Zwei ist, zusammengesetzt aus einem anderthalbfachen [Verhältnis] und einem vierdrittelfachen [Verhältnis], wie es offensichtlich ist.“

In dieser Textstelle mahnte Alvarus Thomas die Grenze der Übertragbarkeit der Proportionslehre auf die Quantifizierung von Qualitäten an. Die Mathematik kann Dinge berechnen, die de facto nicht vorliegen. Als Beweis, dass er richtig liegt und 2 zu 1 zusammengesetzt aus 3 zu 2 und 4 zu 3 ist, führt der Autor Verweise auf Euklid an. Das Verhältnis zweier intelligentiae zu einer intelligentia kann nicht weiter aber aufgeteilt werden, obwohl man es berechnen könnte. Das hat man so zu verstehen, dass eine intelligentia nicht teilbar ist.226 Alvarus Thomas legte im selben Zug aber auch dar, wie kompliziert die Frage der Kommensurabilität ist, und fordert zum Schluss, dass der Leser selbst nach besseren probationes suchen solle. Alvarus Thomas schafft es also, die hier als allgemeingültig interpretierten Aussagen von Oresme in ihrer Allgemeingültigkeit zu widerlegen. Aber auch Alvarus Thomas kann keine bessere allgemeingültige Lösung anbieten. Das Problem wird aporetisch beendet. Die Form der Kritik an Oresme ist im Ganzen bemerkenswert anders als der polemische Umgang von Alvarus Thomas mit Bassanus Politus. Die Autorität von Oresme wird eigentlich gestärkt, da Alvarus Thomas das Problem ebenfalls nicht lösen kann. Es ist in diesem Sinne ein klassisches Beispiel der damaligen Wissenschaftsform.

Kommensurablität wird im dritten Teil des Liber de triplici motu nicht mehr im Einzelnen in Zusammenhang mit Bewegung besprochen. An dieser Stelle mag man erneut über das Verhältnis von Lehre und Forschung an der mittelalterlichen Universität nachdenken. Edith Sylla argumentiert in dieser Hinsicht, dass Forschung und Lehre an der Pariser Artistenfakultät generell schwer zu unterscheiden sind.227 Deswegen ist der oben hervorgehobene Lehrbuchcharakter der mathematischen Teile des Liber de triplici motu nur mit Einschränkungen vertretbar, weil gegen Ende des zweiten mathematischen Teils von Alvarus Thomas in Form von quaestiones aktuelle Diskussionen wie über die Schrift von Bassanus Politus und eine Positionierung des eigenen Werks ausgetragen wurden sowie Oresme als Autorität problematisiert wurde. Möglicherweise wollte Alvarus Thomas die mathematischen Teile des Buches noch einmal aufwerten, um sie bei Bedarf getrennt von dem Teil zur Bewegungslehre als Pezzien zu drucken. Luhmann reflektiert diesen Sachverhalt mit den folgenden Worten: „Solange der Buchdruck sich nicht voll auswirkt, lassen sich auch bei reichen, schriftlich fixierten Traditionen Wissen, Wissensvermittlung, Wissenserwerb und lebenspraktische Verwendung nicht trennen.“228 Der Liber de triplici motu hinterlässt in seiner Konzeption zumindest genau den Eindruck, den das Zitat von Luhmann beschreibt.

Deutlich wird durch diese Diskussionen um Politus und Oresme auch, dass in der Zeit von Alvarus Thomas die Mathematik als eine für die Naturphilosophie relevante Disziplin auch eigenständige Fragen hat. Der Liber de triplici motu zeigt so die Anzeichen der langen Umbruchphase seit dem Mittelalter auf dem Weg zur modernen Wissenschaft. Alvarus Thomas verbindet Mathematik und Physik, trennt sie aber gleichzeitig wieder. Die Mathematik bildet eine theoretische Grundlage für die Naturphilosophie, ist aber nicht ihre Leitwissenschaft. Eine experimentelle Suche nach berechneten Entitäten ist in dieser Zeit noch nicht denkbar. Dies ist zur Zeit von Alvarus Thomas allerdings nicht neu, sondern beruht auf der Präsenz der spätmittelalterlichen Traditionen der Kalkulatoren auf der Grundlage von Aristoteles und Euklid. Alvarus Thomas greift aber nicht nur auf etablierte Autoritäten, sondern auch auf zeitgenössische Diskussionen wie die um die Kommensurabilität auf. Das mag in der derzeitigen Auffassung der Wissenschaft der ausklingenden Mittelalters weniger Beachtung finden, weil wir erstaunt sind über die Langlebigkeit der verhandelten Autoren. Aber auch diese Wissenschaft war an aktuellen Diskussionen interessiert und konzentrierte sich nicht nur auf die Rezeption von Autoritäten der Vergangenheit wie Oresme. Bedeutung bekommt der Liber de triplici motu daher nicht durch das Aufstellen Paradigmen wechselnder Thesen wie derjenigen von Galileo Galilei oder Isaac Newton, sondern durch seine Rolle im Lehrgeschehen seiner Zeit und der Bezugnahme auf zeitgenössische Literatur.

Fußnoten

Das Verbot der Zivilrechtsstudien wurde 1219 durch den Papst ausgesprochen. Vgl. Ehlers 1999, S. 78.

Eine Alternative wäre beispielsweise, dass Alvarus Thomas wegen eines bestimmten Lehrers nach Paris gekommen war. Vgl. die Ausführungen zu Jodocus Clichtovaeus, S. 31.

Vgl. zum Beispiel Leff 1993, S. 280; Ehlers 1999, S. 83.

Vgl. Leff 1993, S. 280.

Vgl. Ehlers 1999, S. 83f.

Dazu Schulthess and Imbach 1996, S. 196-198.

Vgl. Schulthess and Imbach 1996, S. 196. Bonoventura bevorzugte Plato.

So argumentiert auch Grant 1999, S. 263. Weiter zu diesem Diskurs über Wissenschaft und Religion siehe ab S. 49, ferner auch 62.

Dazu Schulthess and Imbach 1996, S. 199-202.

Eine kurze historische Einführung in die Geschichte der Rezeption von Aristoteles im Mittelalter bietet: Leff 1993, S. 287-292.

Lese Näheres zu den Oxforder Kalkulatoren S. 47-49.

Den Einfluss gedruckter Werke betont vor allem Elisabeth L. Eisenstein. Sie spricht in Hinblick auf die Erfindung des Buchdrucks von einer nicht wahrgenommenen Revolution. Einleitend siehe: Eisenstein 1996, S. 3-11.

Siehe S. 93-108.

Aber auch aus Sizilien und Salerno. Vgl. Stohlmann 1985, S. 128.

Vgl. Leff 1993, S. 287.

Eigentlich „dolmetschte“ sein mozarabischer Gehilfe Galippus Texte mündlich aus dem Arabischen ins Mittelkastilische, und Gerhard von Cremona übersetzte dies im Folgenden ins Lateinische und schrieb es auf. Bezeugt ist dies für die Übersetzung des Almagests, eines so genannten Sternenkatalogs. In wie weit dies ein häufiges Verfahren beim Übersetzen arabischer Texte war, kann nur spekuliert werden. Vgl. Herbers 1999, S. 234.

Gerhard von Cremona übersetzte auch Werke von Galen, Avicenna und den Almagest von Ptolemäus.

Vgl. Leff 1993, S. 287.

Vgl. Leff 1993, S. 288.

Vgl. Leff 1993, S. 288f.

Zu Michael Scotus als Übersetzer vgl. Thorndike 1965, S. 22-31.

Vgl. Hammerstein 1996, S. 114. Gegen diesen Konservatismus wendeten sich viele Humanisten. Vgl. zum Beispiel für Erasmus von Rotterdam in Rupprich and Heger 1994, S. 556.

Bradwardine 1505, Blatt 9 (Exemplar der Bayrischen Staatsbibliothek).

Die Informationen aus den folgenden Absätzen stammen aus Sarnowsky 1999, S. 68-82.

So auch Leitão 2000, S. 12.

Thomas 1509, S. 3. Erwähnt wird eine Passage aus De doctrina christiana.

Has enim sapiens ille Salomon dicit pedisse, quas atque ancillas theologiae, quas iubet vocari ad turrim et ad menica cinitatis. Thomas 1509, S. 3.

Erwähnungen finden sich im 2., 3. und 7. Buch der Politeia von Platon.

An den italienischen Universitäten mit dem Schwerpunkt des römischen Rechts stieg dagegen die Bedeutung der Rhetorik. Vgl. Leff 1993, S. 279.

Beispielsweise war das quadrivium in Oxford sehr hoch angesehen und wurde dementsprechend vermehrt gelehrt. Vgl. Leff 1993, S. 279.

Vgl. North 1993, S. 303. Allerdings gibt es weitaus mehr Feiertage als heutzutage.

Deutlich wird dies beispielsweise an den angefügten Rechenbeispielen für die Aufteilung eines Körpers nach komplizierteren Verhältnissen im Kapitel 1.5. Siehe S. 175-177.

Die Informationen der folgenden Absätze basieren vor allem auf: Leff 1993, S.279-302.

Siehe dazu auch S. 63-65.

Näheres dazu S. 55-57.

Dazu Jungen and Lohnstein 2006, S. 49-54.

Zur Bedeutung des Nominalismus für die Frühe Neuzeit siehe: Funkenstein 1986, S. 57-68.

Die zur logica vetus gehörenden Schriften des Aristoteles waren bis zum 12. Jahrhundert die einzigen weit verbreiteten Schriften des Aristoteles im lateinischen Westen. Die Rezeption der Physica, der Metaphysica und die der Schrift De anima erreichte erst im 12. Jahrhundert die Gebiete der Latinitas. Die Wiederentdeckung der Schriften der logica nova ist in Zusammenhang mit der Institutionalisierung der Universitäten zu sehen. Durch den überregionalen Charakter der ersten Universitäten war es möglich, mehr Wissen als vorher zwischen Gelehrten auszutauschen, sich über vorhandene Bücher zu informieren und somit auch den Bedarf an Texten zu erhöhen. Die Universitäten wirkten gewisser Maßen als Kristallationspunkt für diese Entwicklungen. Vgl. Leff 1993, S. 285.

Die Schrift von Porphyrios war im Übrigen einer der wichtigsten Grundlagentexte im mittelalterlichen Universalienstreit, der Frage, ob universale Einheiten wie Bäume oder Tiere eigenständig existierten. Daraus entwickelten sich die Schule der Realisten, die dies bejahten, und die Schule der Nominalisten, die die universalia nur als Hilfsmittel der Sprache auffassten, ihnen eine eigenständige Existenz aber absprachen. Auch bei Alvarus Thomas wird auf diese beiden Schulen hingewiesen. Vgl. Leff 1993, S. 284f.

Zu den wichtigsten Übersetzungen siehe auch ab S. 39.

Vgl. Leff 1993, S. 297.

Zur Biographie von Wilhelm of Sherwood und eine Zusammenfassung der Introductiones in logicam siehe: Kirchhoff 2008, S. 193-204.

Siehe auch S. 55-57. Vgl. Leff 1993, S. 297.

Vgl. Rose 1874, S. 303.

Vgl. Leff 1993, S. 285f.

Näheres zum Dedikationsbrief ab S. 62.

Kurzer Überblick zum Begriff Wissenschaftssprache in: Klüsener and Grzega 2012, Sp. 1486-1508.

Ein Überblick zur Entwicklung der Sprachtheorie im Mittelalter und vor Alvarus Thomas findet sich hier: Meier-Oeser 1997, S. 985-1022.

Siehe Glossar, S. 109-134.

Siehe zum Beispiel im Abriss, S. 435. Dort heißt es: „Wenn die raritas und die Dichte möglich wären, würde entweder [gelten]: In welchen Verhältnis die raritas größer wird, wird das Verhältnis der Quantität auf die Materie größer und nicht die Quantität in dem Verhältnis. [Oder es gelte:] In welchem Verhältnis die raritas größer wird, wird die Quantität größer. Aber keine der beiden [Möglichkeiten] darf [so] besprochen werden. Daher sind die raritas und die Dichte nicht möglich.“

Die Informationen auf den folgenden Abschnitten wurden zusammengefasst aus: North 1993, S. 303-320. Eine Übersicht über die Euklidausgaben der Elemente in der Frühen Neuzeit bietet: Schönbeck 2003, S. 229-242.

Siehe im Abriss ab S. 193.

Vgl. Leff 1993, S. 292. Leff argumentiert, dass in Paris Astronomie und Mathematik austauschbar waren.

Dazu Folkerts 2003, XI S. 1-24.

Erwähnungen von Nikomachos von Gerasa im Abriss, S. 153, 166, 187, 191. Auf eine konkrete Stelle der Arithmētikḗ eisagōgḗ verweist Alvarus Thomas allerdings nur einmal im Liber de triplici motu; Thomas 1509, S. 6.

Die Werke, bei denen Alvarus Thomas wahrscheinlich auf Handschriften zurückgreifen musste, finden sich S. 105.

In Oxford wurden beispielsweise nur die ersten sechs Bücher der Elemente in der Lehre vorgeschrieben. Vgl. North 1993, S. 310.

Vgl. North 1993, S. 310.

Vgl. Lese dazu auch ab S. 66.

Dazu Molland 1995, S. I 113-122.

Siehe im Abriss die dubitationes zur quaestio des Kapitels 3.4.1 ab S. 538.

Vgl. North 1993, S. 312.

Vgl. North 1993, S. 312. Eine Inhaltsangabe liefert Pedersen 1981, S. 115-18.

Vgl. North 1993, S. 313.

Vgl. North 1993, S. 313f.

Ausnahmen gibt es. Siehe beispielsweise im Abriss S. 362.

1277 verfasste der damalige Bischof von Paris, Étienne Tempier, eine Liste von 219 oftmals aristotelischen Positionen, die in Paris öffentlich nicht verteidigt werden durften. Vgl. Sarnowsky 1999, S. 69.

Vgl. Leff 1993, S. 293. Dazu Grabmann 1934, S. 225-227.

Vgl. Leff 1993, S. 298.

Die Regulae solvendi sophismata kann man als eines der grundlegenden Werke der Kalkulatorentradition ansehen, das auch später von keinem anderen Werk abgelöst wurde. Zum Beispiel griff Thomas Harriot noch Ende des 16. Jahrhunderts auf das Buch zurück. Vgl. Schemmel 2008, S. 56.

A. Maier beschreibt Walter Burley als Gegenspieler von Wilhelm Oakham. Vgl. Maier 1964b, S. 218.

Die ausführlichste Liste der mittelalterlichen Beinamen von Philosophen findet man unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_lateinischer_Beinamen_des_Mittelalters (besucht am 01.02.2016).

Allerdings wird im Liber de triplici motu nicht auf die Geometria speculativa von Thomas Bradwardine verwiesen, sondern auf sein Werk De proportionibus.

Vgl. Lawn 1993, S. 46.

Vgl. Lawn 1993, S. 54-63. Lawn rezipiert intensiv Courtenay 1982, S. 13-32.

Burley 1496, Forli 1496, Sachsen 1496. Ein Gesamttitel der Textsammlung fehlt.

Ob es denn allerdings eine Rivalität zwischen den Oxforder Kalkulatoren und der zeitlich etwas versetzten Schule in Paris gegeben hat, mag man bezweifeln. Zu finden ist diese Theorie beispielsweise unter: http://en.wikipedia.org/wiki/Thomas_Bradwardine (besucht am 01.02.2016). Möglicherweise ist dies eine Konstruktion national orientierter Geschichtsschreibung, ähnlich der negativen Beurteilung von Alvarus Thomas bei Pierre Duhem. Vgl. Forschungsüberblick, S. 8.

Vgl. Federici Vescovini 2008, S. 136-138.

Vgl. Clagett 2008, S. 223-230.

Vgl. Moody 2008, S. 93-95.

Zum Begriff Impetustheorie siehe Wolff 1978, S. 16-31.

Vgl. zum Beispiel im Abriss S. 323 in der 4. conclusio.

Zu den Anfängen der Impetustheorie siehe: Wolff 1978, S. 67-83.

Siehe Glossar, S. 119.

Vgl. Thomas 1509, S. 95-100; im Abriss S. 322-325.

Vgl. Wallace 2008, S. 349.

Zu Pierre Duhem siehe Ariew 2014, unter: http://plato.stanford.edu/entries/duhem/#HisSci (besucht am 01.02.2016).

Zum Beispiel Wolff 1978, S. 30f. Der Term „Vorläufer“ impliziert, dass eine ältere historische Entwicklung fast teleologisch in eine jüngere Entwicklung mündet. Eine weitere Metapher dafür wäre, die Geschichte aus der Gegenwart rückwärts zu konstruieren, anstatt von den Anfängen her.

Vgl. Cunningham 1991, S. 377-92. Grants Antwort, in der er die Wissenschaftlichkeit der Naturphilosophie verteidigt, ist zusammengefasst hier zu finden: Grant 1999, S. 263-65. Cunningham antwortete später in Cunningham 2000, S. 259-278. Vgl. dazu mit Darstellung der Kritik an Andrew Cunningham Jung 2004, S. 495-97.

Grant 1999, S. 265.

Siehe im Abriss Kapitel 3.4.5, S. 567 und dann weiter ab S. 590.

In einem Argument in Kapitel 3.4.2 heißt es: „Wenn eine handelnde Schöpfung nicht zu einem Zeitpunkt [plötzlich] handeln kann, würde folgen, dass die heilige Jungfrau nicht die echte Mutter unseres Erlösers gewesen war. Aber der Nachsatz ist falsch und häretisch. Daher.“ – Si agens creatum non posset agere in instanti, sequeretur beatam virginem non fuisse veram matrem nostri redemptoris, sed consequens est falsum et haereticum, igitur. Thomas 1509, S. 246.

Siehe im Abriss ab S. 601, 604 und 615.

Für Argumente, in denen Gott argumentativ verwendet wird, siehe zum Beispiel im Abriss, S. 424, ab S. 546, S. 585, ab S. 590.

Vgl. Oberman 1987, S. 25.

Vgl. Leff 1993, S. 300. Dazu Courtenay 1987, S. 3-10.

Siehe Thomas 1509, Kapitel 3.4.2.; im Abriss ab S. 550

Vgl. Schwinges 1993a, S. 213f. Lese dazu auch S. 60-62.

Vgl. Hoye 1997, S. 155.

Schwinges 1993a, S. 214. Allerdings bezweifelt Hoye, dass genau diese Frage im Mittelalter überhaupt gestellt wurde. Sie sei eher eine böse Unterstellung der Humanisten. Vgl. Hoye 1997, S. 167.

Vgl. Schwinges 1993a, S. 214.

Vgl. Hoye 1997, S. 165.

Vgl. Ehlers 1999, S. 80.

Vgl. Leff 1993, S. 295f.

Vgl. Leff 1993, S. 296.

Siehe beispielsweise Farge 2006, Einträge 881, 902, 1049, S. 458, 467, 535.

Vgl. Thomas 1509, S. 2.

Vgl. Ehlers 1999, S. 79. Die erste Erwähnung der quaestio in Paris findet sich 1215. Vgl. Hoye 1997, S. 155.

So argumentiert auch Sylla 1989, S. 258.

Stump 1988, I. Vgl. dazu Hoye 1997, S. 155.

Vgl. Hoye 1997, S. 155f.

Vgl. Hoye 1997, S. 169f.

Vgl. Hoye 1997, S. 164-166.

Vgl. Hoye 1997, S. 168.

Vgl. Hoye 1997, S. 157.

Lese dazu auch S. 63-66.

Zu Petrus Lombardus siehe: Hödl 1996, S. 301f.

Vgl. Hoye 1997, S. 156.

Vgl. Hoye 1997, S. 156. Hoye baut auf Bazàn 1985, S. 13-149.

Eine Beschreibung der wichtigsten Terme findet sich im Glossar ab S. 109.

Dazu mehr S. 57-60

Vgl. Hoye 1997, S. 167f.

Vgl. dazu auch die kurzen Ausführungen zur disputatio de quolibet im vorherigen Kapitel. Die quaestio qodlibetalis wurde in der disputatio de quolibet verhandelt.

Eine kurze Geschichte der sophismata im Rahmen der Geschichte der Physik ist zu finden bei Maier 1952, S. 264-288.

Leff 1993, S. 299.

Kirchhoff 2008, S. 116f.

Vgl. Maier 1952, S. 265f.

Dazu Kirchhoff 2008, S. 116-121. Kirchhoff bezieht sich auf die Einleitung der Quellenedition von Rijk 1982, S. *3*-*5*. Allerdings spricht de Rijk von probationes-Literatur.

Vgl. Ebbesen 1995, S. 1070.

Vgl. Kirchhoff 2008, S. 116-121.

Siehe zum Beispiel im Abriss S. 218, 505 und 518.

Siehe Abriss, S. 433.

Siehe zur Kategorisierung der disputationes ab S. 51.

Vgl. Lawn 1993, S. 39f. Im Übrigen war die ars disserendi die erste Logikschrift, deren Aufbau nicht der Aristotelischen Logik folgte. Aber anscheinend wurde die Schrift nicht häufig gelesen. Vgl. Pinborg 1980, Sp. 109f.

Zum Beispiel: Correia de Sá 2005, S. 59-80, Correia de Sá 2010, S. 115-126, Sylla 2008, S. 131-146.

Siehe Wallace 1969, S. 223-225.

Vgl. Sylla 1989, S. 280f.

Zu finden oder besser nicht zu finden in den Regesten der Artistenfakultät beiFarge 2006.

Siehe dazu ab S. 37.

Vgl. Correia de Sá 2005, S. 15 nach der Zählung der Seiten unter: http://detriplicimotu.wordpress.com/bibliography/ (besucht am 01.02.2016).

Das Vokabular zur Bewegung ist bei Alvarus Thomas aber differenzierter als in der Übersetzung der Kategorien von Boethius.

Die Phrase „Finde selbst weitere Korollare“ wurde fast immer im gesamten Abriss gekürzt. Die andere Phrase findet sich häufig in Variationen im Abriss.

Vgl. zu Sylla S. 8, dazu Correia de Sá 2005, S. 15 nach der Zählung der Seiten unter: http://detriplicimotu.wordpress.com/bibliography/ (besucht am 01.02.2016).

Das gilt nicht für die Verwendung anderer Beinamen im Liber de triplici motu, die nur gelegentlich vorkommen wie doctor subtilis an Stelle von Duns Scotus.

Eine Sonderstellung hat die historia naturalis von Plinius, in der beispielsweise Positionen von Phythagoras verzeichnet sind, von dem selbst wiederum keine Texte überliefert sind. Ähnlich sind aristotelische Aufzählungen der Positionen der ionischen Naturphilosophen, die im Mittelalter vor allem durch die Vermittlung durch Plinius, Aristoteles oder teilweise auch Plato präsent waren.

Marginalien werden aber auch zur Orientierung innerhalb des Textes für den Leser eingesetzt. Definitionen werden angezeigt, aber auch die Gliederung längerer Abschnitte, beispielsweise in welcher Zeile die Korollare zu einer bestimmten ratio im Textabschnitt beginnen.

Siehe dazu auch ab S. 93 die Liste, in dem die Werke aufgelistet sind, auf die Alvarus Thomas verweist.

Vgl. Schwinges 1993a, S. 215.

Zu den Ausnahmen siehe S. 105.

Weiteres dazu ab S. 69.

Vgl. Gieysztor 1993, S. 125f.

Vgl. Schwarz 2002, S. 171.

Thomas 1509, S. 232. Das Gedicht trägt die Überschrift „Fratris Baptiste Mantuani Carmelitae theologi ad Ludowicum Fuscararium et Joannem Baptistam refrigerium cives Bononienses Parthenice incipit feliciter.Mantuanus 1500, S. 12 (Zählung nach der Nummerierung mit Bleistift).

Alvarus Thomas verweist auf folgende Verse: Sancta palestine repetens exordia nymphi / Difficiles ortus et formidata profundo / Incrementa Iovi mores hymeneaque festa. Vgl. Mantuanus 1500, S. 12.

Hierin unterschied sich die Pariser Universität beispielsweise von der Prager Universität, an der es das Peziensystem nicht gab, und entsprechende Texte zum Mitschreiben vorgelesen wurden. Diese Veranstaltungen wurden pronunciationes genannt und manchmal auf Fürbitte der Studierenden auch in Paris veranstaltet, so dass die Studierenden Geld sparen konnten. Vgl. Gieysztor 1993, S. 126.

Eine Typologie der unterschiedlichen Drucke des Liber de triplici motu findet sich im Kapitel Bibliographische Informationen zum Liber de triplici motu. Dort finden sich auch eine genauere Darstellung der Informationen zu den Buchhändlern und dem Buchdrucker von Alvarus Thomas. Siehe S. 17-21.

Vgl. Lawn 1993, S. 40.

Thomas 1509, S. 2. Die Stelle befindet sich nicht im strukturierten Abriss.

Vgl. Plin.nat. X.79.

Alvarus Thomas mochte mit diesem Brief die Fürsprache und sicher auch eine finanzielle Unterstützung für die Veröffentlichung des Werks von Petro de Meneses erbitten. Offensichtlich hat er sie erhalten, sonst wäre der Brief wohl nicht abgedruckt worden.

Vgl. Lawn 1993, S. 40f.

Die Dominikaner waren der am meisten in die Inquisition verwickelte Orden. Einführend: Peters 2005, S. 105-121. Siehe auch beispielsweise Caldwell Ames 2005, S. 17-19. William J. Courtenay argumentiert, dass ab dem frühen 15. Jahrhundert die Verfolgung von Heretikern an den Universitäten schärfer wurde. Courtenay 1989, S. 181.

Siehe dazu auch S. 49.

Die Übersetzung der vier Notabilien findet sich im Abriss S. 477-479.

Thomas 1509, S. 197. Diese Stelle findet sich nicht im strukturiertem Abriss.

Thomas 1509, S. 197. Diese Stelle findet sich nicht im strukturierten Abriss.

Quint.inst. 1.epistula.I.

Vgl. Hor.ars 386-389.

Kurz dazu Heymann 1988, S. 82. Etwas ausführlicher bei Raumer 1832, S: 89f.

Vgl. Benbassa 2000, S. 68-70.

Zu den biographischen Daten von Agrippa von Nettesheim und Charles de Bouelles siehe Nauert 2011, unter: http://plato.stanford.edu/entries/agrippa-nettesheim/ (besucht am 01.02.2016); Lieber nach 1992, unter: http://encyclopaedia.herdereditorial.com/wiki/Volpi:Charles_de_Bouelles (besucht am 01.02.2016).

Lese dazu auch S. 31.

Tollentinus 1498, a2 recto.

Vgl. Wallace 2008, S. 349. Auf John Maior wird – wie William A. Wallace implizierte – dagegen nicht direkt im Text verwiesen. Es mag aber sein, dass die beiden sich persönlich kannten. John Maior hielt sich zu dieser Zeit in Paris auf. Auch einer der Buchhändler von Alvarus Thomas, Poncetus le Preux, unterhielt Kontakte zu Maior. Vgl. S. 21.

Et adverte, quod quotienscumque allego Euclidem, semper utor nova traductione Bartholomei Zamberti. Thomas 1509, S. 41.

Gesamtkatalog der Wiegendrucke, GW 04586 unter: http://gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/BOETHIU.htm#GW04586 (01. 02. 2016).

Eine moderne Edition: Jordanus de Nemore 1991, S. 59.

Eine Auflistung der Exemplare findet sich bei: Masi 1983, S. 61f.

Zum Erstdruck: Nicomachus of Gerasa 1926, S. 144.

Für Übersetzungen siehe: Folkerts 2000, Sp. 733. Zur hebräische Übersetzung siehe Langermann 2001, S. 219-236.

Siehe im Abriss beispielsweise S. 230, 235 oder 237.

Siehe zum Beispiel im Abriss S. 164 oder S. 178.

Weiteres zu Oresme ab S.74.

[...] proportio est duorum numerorum vel duarum quantitatum unius ad alteram certa habitudo. Thomas 1509, S. 3.

Eukl.elem. 7.12.

Thomas 1509, S. 6. Die species proportionum rationalium, fünf an der Zahl, übernahm der Autor aus Boëthius´ De Institutione Arithmetica. Eine nähere Erklärung findet sich im Abschnitt über die Auseinandersetzung von Alvarus Thomas mit Nikolaus Oresme ab S. 74. Auch den anderen grundlegenden Term der Proportionslehre, die proportionalitas, übernahm Alvarus Thomas aus der lateinischen Terminologie von Boëthius. Bei Boëthius heißt es: Proportio est duorum terminorum ad se invicem quaedam habitudo. Boeth.arith. II.40. Dem kommt Alvarus sehr nahe: Proportio enim ut dictum est habitudo est duarum quantitatum ad invicem comparatarum. [...] Sed portionalitas est duarum portionum vel plurium unius ad alteram certa habitudo. Alvarus Thomas ersetzte similis durch certus, d.h. ähnlich durch feststehend. Im Übrigen ist auch die Unterscheidung von rationalen und irrationalen Verhältnissen zuerst bei Nikomachos von Gerasa zu finden.

Vor allen Dingen im zweiten Kapitel des Werks wurde der Term intensiv genutzt. Zu finden: Oresme 1966, S. 173-220.

Oresme 1966, S. 130.

Wallace 2008, S. 349.

Thomas 1509, S. 36. Diese Stelle findet sich nicht im strukturierten Abriss.

Für den Term denominatio siehe das Glossar, S. 121.

Thomas 1509, S. 36

Thomas 1509, S. 36.

Thomas 1509, S. 36.

Thomas 1509, S. 37.

[...] quamlibet proportionalem rationalem cuilibet alteri esse commensurabile. Thomas 1509, S. 37.

Thomas 1509, S. 37.

Ich vermeide in der Beschreibung die Verwendung eines Gleichheitszeichens, wie es auch bei Alvarus Thomas nicht geschieht.

Die verwiesene Stelle bei Aristoteles ist folgende: „so ist klar, daß auch bei der Naturwissenschaft zuerst versucht werden muß, Bestimmungen über die Anfänge zu geben.“ Aristot.phys. 1.1. Interessant ist auch, dass Alvarus Thomas sich selbst für wissenschaftlich hält. Siehe dazu den erwähnten Diskurs über die Wissenschaftlichkeit der spätmittelalterlichen Naturphilosophie, S. 49.

Thomas 1509, S. 38.

Thomas 1509, S. 38.

Thomas 1509, S. 38. Die Stelle ist im Abriss weggekürzt worden. Bei Euklid heißt es: „Wenn drei Größen proportionabel sind, so sagt man, habe die erste zur dritten ein zweimal höheres (dupliziertes) Verhältnis als die erste zur zweiten.“ Bei Jordanus de Nemore klingt es ähnlich: „Wenn drei Zahlen stetig proportional sind, so sagt man, ist das Verhältnis der ersten [Zahl] zur dritten [Zahl] ein verdoppeltes Verhältnis der ersten [Zahl] zur zweiten [Zahl].“

Tum tertio, quia idem calculator in ultimo capitulo de medio non resistente conclusione octava dicit expresse in probatione illius conclusionis, quod sexdecupla est dupla ad quadruplam, et si sic non esset, conclusio esset falsa et probatio nulla. – „Dann folgt drittens, dass derselbe Kalkulator im letzten Kapitel über das Medium, das keinen Widerstand leistet, in der achten conclusio ausdrücklich beim Beweis jener conclusio sagt, dass ein sechzehnfaches [Verhältnis] ein doppeltes [Verhältnis] zu einem vierfachen [Verhältnis] ist. Und wenn es nicht so wäre, wäre die conclusio falsch und der Beweis nichtig.“ Thomas 1509, S. 38f.

Thomas 1509, S. 38.

Thomas 1509, S. 39.

Vgl. Clagett 2008, S. 223. Eine ausführlichere Beschreibung seines Lebens mit Quellen findet sich in der Einleitung von Edward Grant bei Oresme 1966, S. 1-10.

Kritische Ausgabe mit englischer Übersetzung von Marshall Clagett: Clagett 1968.

Siehe dazu die kurze Beschreibung der Arbeit bei Schemmel 2008, S. 11f.

Vgl. zur Datierung und zur Bedeutung des Werks für die Mathematik und Physik: Clagett 1968, S. 11-24.

Luhmann 1992, S. 148.

Eukl.elem. 10.1.

Thomas 1509, S. 40.

An anderen Stellen rechnet Alvarus Thomas aber mit Variablen.

Weiteres zu den Erstzahlenverhältnissen siehe S. 66-69.

[...] cuiuslibet proportionis multiplicis unitas est minimum extremum. Thomas 1509,S. 40

Thomas 1509, S. 40f. Genus und species werden hier von Alvarus Thomas synonym verwendet.

Thomas 1509, S. 41.

Thomas 1509, S. 41.

Thomas 1509, S. 41.

Thomas 1509, S. 41.

Thomas 1509, S. 41.

Vgl. auch entsprechende Stellen im Abriss S. 184 oder S. 228. Dort wird die intelligentia unter den Dingen aufgezählt, die nicht teilbar sind.

Siehe dazu auch S. 8.

Luhmann 1992, S. 604.