Uns erscheint die Terminologie der Naturphilosophie um 1500 vertraut und fremd zugleich. Vertraut ist sie durch die Verwendung vieler mathematischer und physikalischer Terme, die wir heute noch in der Schule lernen wie die Unterscheidung rationaler und irrationaler Zahlen. Fremd erscheint sie in den Konnotationen dieser Terme, dass beispielsweise die Geschwindigkeit nicht wirklich gemessen, sondern in einer Art Gedankenexperiment deduktiv ermittelt wird.
Durch die Digitalisierung von Inkunablen und Büchern aus dem frühen 16. Jahrhundert sind vielerorts weitgehend unerreichbare historische Quellenbestände zur Wissenschaftsgeschichte elektronisch verfügbar geworden. Dennoch erweist es sich, dass die Verfügbarkeit von Quellen nicht die Zugänglichkeit eines Autoren gewährleistet, und viele dieser Quellen eine Kommentierung, Bearbeitung und Einordnung verlangen, die gerade für weniger bekannte Autoren noch nicht ausreichend vorhanden ist. Der moderne Leser wird beispielsweise mit weniger gängigen Literaturgattungen wie den quaestiones konfrontiert, die schnell zu Missverständnissen oder Frust bei der Rezeption dieser Bücher führen.
Eines dieser Werke ist der Liber de triplici motu von Alvarus Thomas aus dem Jahr 1509. Das Buch repräsentiert einen letzten Höhepunkt der scholastischen Auseinandersetzung mit der aristotelischen Bewegungslehre vor der Entstehung der klassischen Mechanik. Von zukunftsweisender Bedeutung ist darin die mathematische Proportionslehre und die damit verbundene Quantifizierung von naturphilosophischen Qualitäten nach den Methoden der Oxforder Kalkulatoren wie zum Beispiel die Quantifizierung der Geschwindigkeit einer Bewegung. Aus dem Inhalt und der Strukturierung des Werks sowie dem Leben von Alvarus Thomas lassen sich aber auch die Zusammenhänge zwischen Formen und Inhalten der Wissensvermittlung und Wissensproduktion, zwischen wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlicher Sozialisation für das frühe 16. Jahrhundert erhellen.
„Wenn Du das Werk zweimal gelesen hast, lese es erneut, und der Anreiz wird größer sein. Und der aufgewärmte Kohl wird Dir keinen Überdruss bereiten.“1
„Alvarus Thomas und sein Liber de triplici motu“ ist ein zweibändiges Werk. Der erste Band mit dem Untertitel „Naturphilosophie an der Pariser Artistenfakultät“ (Sources 7) beschäftigt sich mit der Person Alvarus Thomas, seinem Lebensumfeld und der darin situierten Traditionen sowie dem bibliographischen Hintergrund seines Buchs zur Proportionslehre und ihrer Anwendung in Diskussionen um den aristotelischen Bewegungsbegriff. Des weiteren beinhaltet er eine aktuelle Liste der vorhandenen Exemplare des Liber de triplici motu und eine Liste der möglichen Quellen von Alvarus Thomas. Ein Glossar mit einer Auswahl der von Alvarus Thomas verwendeten Begriffen und ein strukturierter Abriss des Liber de triplici motu schließen den Band ab. Die Grundlage des ersten Bands mit dem Untertitel „Naturphilosophie an der Pariser Artistenfakultät“ bildete ein gleichnamiges Promotionsprojekt am Institut für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Es wurde von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Jürgen Renn betreut und zum erfolgreichen Abschluss gebracht.
Der Liber de triplici motu gilt unter Forschern zur Geschichte der Naturphilosophie und der Mathematik der Frühen Neuzeit wegen seiner ausufernden Abkürzungen als schwer zu lesendes Werk. Der zweite Band mit dem Untertitel „Bearbeiteter Text und Faksimile“ (Sources 8) bietet daher neben dem Faksimile den Text der Münchener Version des Liber de triplici motu ohne Abkürzungen in einer regularisierten und normalisierten Form. In diesem Zusammenhang wurde beispielsweise die Zeichensetzung vollständig nach feststehenden Regeln erneuert. In dem Band findet sich ebenso ein Personenregister zum Liber de triplici motu. Sources 8 soll weiterhin zukünftig eindeutige Seitenangaben für den Liber de triplici motu gewährleisten, zumal in der Forschungsliteratur und den digitalen Publikationen unterschiedliche Zählungen verwendet werden. Alle Verweise des ersten Bandes (Sources 7) auf Alvarus Thomas folgen der Nummerierung der Seiten des Faksimile des Liber de triplici motu im zweiten Band.
Danksagungen
Als 2008 Jürgen Renn, einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, während meines Lektoriats der lateinischen Texte des Archimedes Projekts zur langfristigen Geschichte der klassischen Mechanik an eben diesem Institut auf mich zukam, wusste ich noch nicht, auf welches längerfristiges Experiment ich mich einlassen würde. Er fragte mich, ob ich denn neben den sprachlichen Aspekten auch Interesse an der inhaltlichen Arbeit an jenen Texten zur Geschichte der Mechanik hätte, und ich bejahte dies. Und so sprach ich damals im Sommer 2008 mit Peter Damerow und Matthias Schemmel, die häufig mit Texten des Archimedes-Projektes arbeiteten, welcher der Autoren des Archimedes-Corpus denn besonders lohnenswert wäre, sich näher mit ihnen zu beschäftigen. Sie empfahlen mir unter anderem Alvarus Thomas, weil dieser in ihrer Arbeit an den Manuskripten von Thomas Harriot auftauchte, aber bisher in der Wissenschaftsgeschichte wenig beachtet worden war. Ebenfalls war gerade eine elektronische Transkription des Liber de triplici motu bei Jutta Müller in Auftrag gegeben worden. Mich reizte ein Autor, der wenig beachtet worden war und bei dem Grundlagen wie eine Übersetzung oder sogar eine ausführlichere Inhaltsangabe fehlten, obwohl das Thema für jemanden, der den Großanteil seiner Lebenszeit bisher vor Büchern oder vor dem Rechner verbrachte, geradezu absurd erschien: Bewegung.
So arbeitete ich ein Exposé für eine Promotionsarbeit zum Text von Alvarus Thomas aus und konnte Wilhelm Schmidt-Biggemann vom Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin überzeugen, einen guten Kenner der Aristotelischen Werke und ihrer Rezeption, dass er die Aufgabe übernahm, mein Doktorvater zu werden. Seine Expertise wie auch die von Jürgen Renn als meinem Zweitbetreuer steuerten an vielen Stellen der Fertigstellung der Doktorarbeit bei, und ich bin dankbar für jede der vielen kritischen Fragen, die sie mir stellten.
Ganz besonders möchte ich in diesen Danksagungen Matteo Valleriani hervorheben. Er war derjenige, mit dem ich am häufigsten über die inhaltlichen Fragen dieser Arbeit diskutierte und der weite Teile der Promotion Korrektur gelesen hat. Er schaffte es auch immer wieder, mich in all den Jahren so zu motivieren, dass ich am Ende nicht vor der Masse des Textes des Liber de triplici motu und den damit verbundenen Fragen kapitulierte. Nicht zuletzt hatte er als editor-in-chief von Edition Open Sources auch großen Einfluss auf die Umwandlung der Promotionsarbeit zu Alvarus Thomas in eine druckreife Veröffentlichung.
Auch Matthias Schemmel und ebenso Peter Damerow, von denen ich am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte so viel gelernt habe, gilt mein Dank. Gern erinnere ich mich an das gemeinsame Lesen des Liber de triplici motu in den späten Abendstunden am Institut, die Diskussionen über Begriffe und die Fragen, die sich aus den Umständen ergaben, mit elektronischen Texten zu arbeiten. Matthias Schemmel las zudem weite Teile dieser Arbeit Korrektur. Peter Damerow verstarb leider 2011 noch vor der Fertigstellung der Promotion. Bei Jochen Büttner bedanke ich mich für die Gespräche, die ich mit ihm über die Geschichte der Wissenschaften geführt habe. Des weiteren möchte ich Brian Fuchs danken, der mich an die elektronischen Werkzeuge für das Arbeiten mit digitalen Quellen heranführte, und ich möchte an Malcolm D. Hyman erinnern, der das Annotationswerkzeug Arboreal programmierte, mit dessen Hilfe ich die Rohübersetzung des Liber de triplici motu bewerkstelligte. Er verstarb 2009.
Allen Involvierten des Sonderforschungsbereichs 644 „Transformationen der Antike“, in dessen integrierten Graduiertenkolleg ich kooptiert wurde, möchte ich ebenfalls für die Zusammenarbeit danken. Ich halte den interdisziplinären Austausch zwischen den Wissenschaften, die über oder aus der Antike und ihrer Traditionen Erkenntnisse ziehen, für zukunftsweisend. Die Sommerschulen des Graduiertenkollegs empfand ich immer als sehr inspirierend und wichtig, um Kontakte zwischen den Forschern der kommenden Generation zu knüpfen.
Urs Schoepflin, Esther Chen und allen Mitarbeitern der Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte möchte ich danken, die mir in so komfortabler Weise Zugang zu Literatur ermöglichten und so manches Buch unaufgefordert verlängert haben, dessen Abgabetermin mir aus den Augen entschwunden war. Ebenso möchte ich deren geradezu vorbildliche Arbeit bei der Beschaffung von digitalen images seltener Drucke hervorheben, die Arbeit und Zeit, die in die Beschaffung der Bildrechte investiert wurden, und die Koordination der vielen Mails zu anderen Bibliotheken, als ich meine Untersuchung zur Klassifizierung der zugänglichen Exemplare des Liber de triplici motu anging. Nicht zuletzt möchte ich der Finanzierung aus Bibliotheksmitteln Rechnung tragen, durch die es möglich war, zeitnah aus der Promotion die beiden Volumes zu Alvarus Thomas im Rahmen der Edition Open Sources zu edieren. Der Bayrischen Staatsbibliothek möchte ich für die Bereitstellung der images des Liber de triplici motu danken. Auch das Team, das Edition Open Sources betreut, möchte ich hervorheben, das mir viele gute Tipps technischer Art für die Fertigstellung dieser Bände gegeben hat, allen voran Lindy Divarci. Ich danke auch Natalie Wissmach, Georg Pflanz und Klaus Thoden für die technische Unterstützung und Angela Axworthy für den Austausch über Layout-Fragen und den sich seltsamer Weise daraus ergebenen Diskussionen zur Naturphilosophie des frühen 16. Jahrhunderts.
Einfluss auf dieses Projekt hatten aber auch weitere Personen wie Henrique Leitão, der es schaffte, 2009 Geld für eine kleine Konferenz zum 500. Jahrestages der Veröffentlichung des Liber de triplici motu zu organisieren, so dass sich erstmals die kleine community der Forscher, die sich mit Alvarus Thomas beschäftigt hatten, fast vollzählig treffen konnte. Mit Eva Sietzen und Frank Böhling gab es eine kleine Textwerkstatt zum Glossar, und ganz besonders möchte ich mich für den Zeitaufwand bedanken, den die Korrekturleser Sascha Freyberg, Anna Jerratsch, Michael Kreutzer, Timo Krüger und Charlotte Müller und nicht zuletzt meine Mutter Hannelore Trzeciok aufbrachten.
Fußnoten
Dionysius Faber in dem Initiationsgedicht des Liber de triplici motu, Thomas 1509, S. 2.